Hamburg. Der Musiker aus Harburg macht international Karriere, am 5. Mai spielt er in der Elbphilharmonie.

„Es gab noch kein Stück, das ich technisch nicht spielen konnte.“ Manch Pianisten-Kollege von Alexander Krichel würde sich wohl kaum trauen, einen solchen Satz zu sagen, aus Angst, arrogant und angeberisch rüberzukommen. Doch wenn Krichel diesen Satz sagt, dann so nebenbei, dass man nie auf den Gedanken käme, ihm Selbstgefälligkeit zu unterstellen. Dazu ist der 28-Jährige ein viel zu normaler, sympathischer Typ. Ein groß gewordener Nachbarsjunge, der eben eines ganz besonders gut kann: Klavierspielen.

Wie gut, das lässt sich am 5. Mai im Kleinen Saal der Elbphilharmonie überprüfen, wenn der gebürtige Harburger mal wieder ein Heimspiel hat. Natürlich ist das Konzert, bei dem Etüden von Chopin und Schumann auf dem Programm stehen, ausverkauft, aber es gibt noch eine weitere Möglichkeit, Alexander Krichel zu sehen: Zwei Tage vorher, am 3. Mai, kommt er zu einem moderierten Gespräch ins Elbphilharmonie Kulturcafé am Mönckebergbrunnen.

Als Kind sei er hyperaktiv gewesen, erzählt Krichel mit einem Augenzwinkern, in dem mitschwingt: Heute ist das nicht anders. Er habe wahnsinnig viel geredet, kaum still sitzen können – und schon damals, mit sechs, das Piano geliebt. Seine erste Klavierlehrerin, eine Russin, sprach kein Deutsch, mit ihr konnte er nicht reden, jedenfalls nicht auf übliche Weise. „Da habe ich die Musik als meine Sprache entdeckt.“

Wie gut er diese Sprache beherrschte, wurde bald klar. Mit 15 war Alexander Krichel bereits Jungstudent an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, mit 18 ging er nach Hannover, um beim legendären Vladimir Krainev (1944-2011) zu studieren, einem Vertreter der russischen Schule in der Tradition von Heinrich Neuhaus.

Krainevs Tod stürzte Krichel in eine tiefe Krise

Plötzlich stand Krichel in einer Linie mit bewunderten Größen wie Sviatoslav Richter und Emil Gilels, Vorbilder, gerade auch wegen der enormen Breite ihres Repertoires.

Die Verbindung zu Krainev war so eng, dass dessen Tod Krichel in eine tiefe Krise stürzte. „Als er starb, starb auch ein Teil von mir. Klaviertechnisch war ich danach vollkommen blockiert. Ich wusste wirklich nicht, ob ich je wieder würde spielen können.“ Sollte er die Musik aufgeben und Medizin studieren, wie ursprünglich mal überlegt?

Lange innere Kämpfe

Dass Freunde ihm sagten, sein Lehrer hätte gewollt, dass er weitermacht, half nicht. „Ich brauchte ein wirkliches Zeichen.“ Das kam nach einem Konzert in Hamburg, zu dem er sich nach langen inneren Kämpfen durchrang. Nach dem Auftritt stellten sich zwei Vertreter der Plattenfirma Sony Classical vor und boten einen Exklusivvertrag an. Über fünf Alben. Einem gerade mal 22-Jährigen. Das ersehnte Zeichen.

Seitdem sind vier CDs erschienen, zuletzt „Miroirs“, eine wunderbare Einspielung dreier Klavierzyklen von Maurice Ravel, für die es international großes Kritikerlob gab. Ob Südamerika, USA oder Asien: Krichels Ruf als Ausnahmepianist reicht längst weit über Europa hinaus. Er spielt in den großen Konzerthäusern der Welt, mit berühmten Orchestern und begleitet bei Liederabenden Stars wie Rolando Villazón oder Klaus Florian Vogt.

Soziales Engagement

Aber ein Harburger Jung ist Krichel, der inzwischen in London lebt, dennoch geblieben. „Wenn ich in Hannover, Bremen oder Berlin Konzerte gebe, fliege ich immer nach Hamburg, um meine Familie besuchen zu können.“ Eine Nacht zu Hause schlafen, das sei doch herrlich. Seinen Hund habe er ja auch noch hier und sein Auto („aber das fährt hauptsächlich meine Schwester“).

Wie verwurzelt Krichel in Harburg ist, zeigt auch sein Engagement für das dortige Hospiz, für das er mehrfach Benefizkonzerte gegeben hat. Zuletzt im ausverkauften Großen Saal des Helms Museums. Ein bemerkenswerter Auftritt, bei dem er sich zunächst bei all jenen bedankte, „die mir den Gefallen getan haben zu kommen“ und dann für ein Publikum ohne große Klassik-Expertise jedes Stück unterhaltsam erklärte, bevor er es spielte.

Ähnliche Mechanismen wie im Pop-Geschäft

Natürlich weiß er, dass in der Klassikbranche ähnliche Mechanismen wirken wie im Pop-Geschäft. Nicht umsonst sind viele der besonders stark beworbenen Künstler jung und attraktiv, nutzen intensiv soziale Netzwerke und wählen im Zweifelsfall schon mal den etwas tieferen Rückenausschnitt.

Dass dadurch insgesamt das Niveau der Konzerte und CD-Einspielungen leidet, glaubt Krichel indes nicht. „Das Publikum ist ja nicht blöd. Wenn eine hübsche Pianistin auf der Bühne versagt, dann spielt es keine Rolle mehr, dass sie mal Model für Dolce & Gabbana war.“ Qualität setze sich am Ende immer durch. Auch wenn er das in seiner Bescheidenheit nie so sagen würde: Er selbst ist dafür ein gutes Beispiel.

Gespräch Mi 3.5., 18.00, Kulturcafé,
Am Mönckebergbrunnen, Eintritt frei Konzert Fr 5.5., 19.30, Elbphilharmonie, Kleiner Saal, ausverkauft