Hamburg. Olga Grjasnowa las im Literaturhaus aus ihrem Syrien-Buch

Warum einen Roman schreiben über syrische Schicksale, wenn es eigentlich täglich so viele journalistische Zugänge zum Thema gibt? Weil, sagt Olga Grjasnowa, der 30-Sekunden-Bericht im Fernsehen nichts wirklich darüber erzählt, was es heißt, von Krieg und Flucht betroffen zu sein. Nervenzerreißend, erklärt die 32-Jährige, „ist nicht nur die Fahrt über das Meer, es geht auch um die Tage davor“.

Was der Syrien-Konflikt mitsamt der Flüchtlingskrise seit Jahren produziert, sind traumatisierte Menschen. Diese setzt Grjasnowa, die in Baku/Aserbaidschan geborene deutsche Schriftstellerin, in ihrem neuen Roman „Gott ist nicht schüchtern“ (Aufbau, 22 Euro) literarisch in Szene. Es geht speziell um die der oberen Mittelschicht angehörenden Amal und Hammoudi. Erstere ist Schauspielerin, Letzterer Arzt, und beide werden in den Strudel der Ereignisse gezogen: Gescheiterte Rebellion und Krieg, Vertreibung und Terror versetzen Land und Menschen in einen Zustand der permanenten Unsicherheit, der Gefahr für Leib und Leben mit sich bringt.

Familien werden auseinandergerissen, junge Männer zu Mördern, und den Medizinern in illegalen Notkrankenhäusern sterben die Menschen unter den Händen weg. All das schildert Grjasnowa in ihrem handlungsgetriebenen, szenisch geschriebenen Roman, den sie jetzt im Literaturhaus am Schwanenwik im Gespräch mit Literaturkritiker Richard Kämmerlings („Die Welt“) vorstellte. Sie berichtete unter anderem vom Einfall des Syrien-Themas in ihr Privatleben – 2013 kam ihr Ehemann als Flüchtling nach Deutschland – und von den immensen Unterschieden, die der Status „Flüchtling“ mit sich bringt.

Sie selbst kam einst aus einem Nachfolgestaat der Sowjetunion als „Kontingentflüchtling“ in den Westen – „aber wir bestimmten den Zeitpunkt unserer Ausreise, es war keine Flucht im eigentlichen Sinne“, so Grjasnowa. Ihre Lesepassagen waren gut gewählt und rafften wie das Buch als Ganzes den Übergang Syriens vom westlich geprägten Staat zur zerfallenden Kriegsnation.

Grjasnowa ist dahingehend kritisiert worden, ihren Text literarisch nicht durchgearbeitet zu haben. Ihr kam es darauf nicht an. Wer ihren engagierten Worten im Literaturhaus lauschte, der merkte, wie sehr sie das Thema Syrien beschäftigt. Journalisten gibt es dort übrigens fast nicht. Weshalb dieser Roman wohl tatsächlich eine Lücke füllt und nah am Geschehen in einem größeren Bogen von den Menschen berichtet, über deren Erleben doch manche Unkenntnis herrscht.

Diskussion So, 23. April, 20 Uhr, diskutiert Olga Grjasnowa im Thalia Theater mit Feridun Zaimoglu, Nino Haratischwili und Volker Weidermann („Der Spiegel“) über Populismus und Heimat, Karten ab 9,- unter T. 30 30 98 98