Der Generalintendant der Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter, über das Simón Bolívar Orchestra, politische Naivität und Kunst.

Die Heimat von Gustavo Dudamel und diesem Jugend­orchester befindet sich in einer dramatischen Krise. Ist es in so einer Situation ­gerechtfertigt, dieses Projekt unkommentiert im Spielplan zu haben?

Christoph Lieben-Seutter: Das dramatische Versagen des venezolanischen Regimes ändert nichts an der Tatsache, dass „El Sistema“ und das daraus resultierende Simón Bolívar ­Orchestra eine äußerst beeindruckende und verdienstvolle Initiative ist, die bekanntlich weltweit Nachahmer ­gefunden und die Musikwelt nachhaltig verändert hat. Auch wenn „El Sistema“ zu einem Aushängeschild des Landes geworden ist, sind die Konzerte des ­Simón Bolívar Orchestra keine Propagandaveranstaltungen der Regierung.

Dudamel gilt mit seinem Engagement für „El Sistema“ als Vorzeigekünstler, als ein Künstler, dessen internationales Renommee von der Regierung seines Landes ­genutzt wird. Entschuldigt musikalisches Können politische Naivität?

Lieben-Seutter: Die Rolle als „Vorzeigekünstler“ ist wohl eine heikle Gratwanderung, die weniger auf seine Naivität als auf seine Verantwortung für „El Sistema“ zurückzuführen ist. Das vom Wohlwollen der Regierung abhängige Projekt ist wie so vieles in dem Land akut gefährdet. Dudamel würde für „El Sistema“ alles tun, auch auf Kosten seiner Karriere.

Kann man in so einem Fall die Kunstproduktion von der Realität trennen und ­getrennt halten?

Lieben-Seutter: Das ist ein komplexeres Thema ...

Warum wird die Spannung zwischen Kunst und Politik in Ihrem Zyklus-Angebot nicht thematisiert? Beethoven böte sich dafür an.

Lieben-Seutter: Musik und Politik beziehungsweise Macht ist ein besonders spannendes Thema, das schon in der Vergangenheit – unter anderem beim Musikfest 2016 „Freiheit“ – thematisiert wurde und in den nächsten Jahren aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden wird.

Haben Sie je daran gedacht, mit der Elbphilharmonie aus der internationalen Vermarktung des Dudamel-Beethoven-Projekts auszusteigen?

Lieben-Seutter: Nein. Wir haben uns eher Sorgen ­gemacht, dass das Projekt aufgrund der Entwicklungen in Venezuela ­gefährdet sein könnte.