Hamburg. Der Musiker und Grafiker Klaus Voormann bekam vor 50 Jahren für das Album-Cover „Revolver“ den Grammy

Klaus Voormann sitzt im Kemp’s English Pub am Mittelweg auf einem Stuhl und zupft den Bass locker und gekonnt. Um ihn herum musikalische Weggefährten wie Joachim Witt, der Liedermacher Stoppok und Tom Appel, Sänger von den Monday Tramps. Kneipenwirt Gibson Kemp schlägt in Schürze mit Schellenkranz den Takt zu „Blue Suede Shoes“. Die Zuhörer hält es nicht auf den Sitzen.

Genau 60 Jahre ist es her, als Klaus Voormann das erste Mal nach Hamburg kam. 19 Jahre alt, ein schüchterner Arztsohn aus Berlin, der auf dem Klavier Chopin und Liszt spielen konnte. Und auf der Meisterschule für Mode in der Armgartstraße das Handwerk des Grafikers erlernen wollte.

Der junge Student wohnte in der Eimsbüttler Straße. Und abends zog es ihn Richtung Reeperbahn. „Die Berns­torffstraße runter zur Großen Freiheit.“ Hamburg war nach dem Krieg noch grau, aber auf dem Kiez wummerte aus einigen Läden eine Musik, die bald zum Lebensgefühl einer ganzen Generation werden sollte. Der Rock ’n’ Roll. „Das Wort konnte ich bis dahin nicht einmal buchstabieren.“

Eines Abends im Oktober 1960 ging Klaus Voormann an der Ecke Schmuckstraße/Große Freiheit an einem Kellerfenster vorbei, als er das erste Mal „Blue Suede Shoes“ hörte. Im Kaiserkeller brachten fünf Jungs aus Liverpool die tanzwütigen Zuschauer zum Toben. John Lennon, Paul McCartney, George Harrison, dazu Stuart Sutcliffe am Bass und Pete Best am Schlagzeug. Sie nannten sich Beatles. Und wenn sie aufdrehten, hielt es niemanden mehr auf den Sitzen.

„Ich war überwältigt, ich hatte so etwas noch nie gehört“, sagt Klaus Voormann. „Eine krude, simple, laute Musik für Bauch und Beine.“ Sie sollte alles verändern. Man kann auch sagen, dass in Hamburg sein Leben von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt worden ist.

Klaus Voormann war fortan mit seiner Freundin Astrid Kirchherr nahezu jeden Abend bei den Beatles. „Das waren keine Konzerte, was heute viele denken, sondern wilde Tanzpartys.“ Was im Kaiserkeller genau passierte, beschreibt Klaus Voormann sehr bildlich: „John schrie sich seinen Lebensfrust aus dem Leib, Paul hüpfte wie ein Gummiball herum. Pete hämmerte auf dem Schlagzeug, als wollte er es zerhacken. George zeigte sein unwiderstehliches Buben-Grinsen, nur Stuart passte mit seiner coolen James-Dean-Sonnenbrille nicht so recht in dieses rotzfreche Bild.“

Eines Abends traute sich Klaus an John Lennon ran und zeigte ihm ein Plattencover, das er selbst gezeichnet hatte. „John war so kurzsichtig, dass er sich das Bild ganz dicht vor die Augen hielt und ich Angst hatte, er würde es gleich mit seiner Nase durchbohren.“ Dann sagte er: „Geh zu Stuart, das ist unser Kunstheini.“

Es war der Beginn einer tiefen Freundschaft. „Wir redeten über Gott und die Welt. Über Kunst und Musik. Wir waren wie Pech und Schwefel.“ Die Beatles, sagt Klaus Voormann, hätten damals in fürchterlichen Löchern auf St. Pauli gehaust. „Kalte Buden, klein, und irgendwo hing eine Glühbirne von der Decke.“ Astrid und er haben die Jungs dann oft in die Eimsbüttler Straße eingeladen. „Da gab es ein warmes Bad und was Richtiges zu essen.“ Sie sind zusammen ins Kino gegangen und nach Timmendorf an die Ostsee gefahren.

„Der Krieg war ja noch nicht so lange vorbei“, sagt Klaus Voormann. Er erinnert sich noch an die Angst auf der Flucht vor den Russen, die seinen kleinen Bruder das Leben gekostet hatte. „Die Fröhlichkeit kam erst in unser Leben zurück, als wir die Beatles kennenlernten.“ John Lennon flachste manchmal auf Englisch von der Bühne: „Hey, Krauts, wir haben den Krieg gewonnen.“ Mit ihrer lockeren Art, sagt Voormann, hätten die Beatles eine unglaubliche Lebensfreude in das Hamburg der Nachkriegszeit gebracht.

Und das selbst gezeichnete Plattencover war im Grunde der Anlass für einen Anruf von John Lennon, der Klaus Voormann sechs Jahre später völlig unerwartet traf. Und sein Leben abermals durcheinanderwirbelte.

Voormann war 1963 nach London gezogen und hatte dort recht erfolgreich als Grafiker gearbeitet. „Zigarettenschachteln für Marlboro entworfen und so.“ Der Kontakt zu den Beatles war nie abgerissen. „Sie besuchten mich auf Teneriffa im Urlaub, wir schrieben uns Briefe, sie schickten mir ihre neuesten Platten.“ Nach dem Tod von Stuart Sutcliffe und dem Wechsel von Ringo Starr ans Schlagzeug 1962 hatten die vier Pilzköpfe mit ihren Songs die Welt erobert. Massenhysterie, Drogen, Jetset-Leben, indische Weisheitslehren, umjubelte Tourneen um den Globus. John Lennon beschrieb diese Zeit später einmal als „ein Zimmer und ein Auto und ein Zimmer und ein Auto und ein Zimmer“.

Klaus Voormann weiß noch, dass er in der Badewanne lag, als seine Frau Christine ans Telefon ging und sagte: „Da will dich ein John sprechen.“ John Lennon kam sofort zur Sache: „Hey, Klaus, willst du unser nächstes Album-Cover machen?“ Nach einer gefühlten Schreck-Stunde sagte er zu. In drei Wochen schuf er das Cover für das Album „Revolver“. Wie die Platte war auch die Hülle etwas vollkommen Neues. Schwarzweiß, viele Haare, visionär, aufregend, verstörend. Eine Mischung aus Zeichnung und Fotomontage. Im März 1967 erhielt er dafür den Grammy, 2011 wurde das Cover vom Magazin „Rolling Stone“ unter die zehn besten Album-Cover der Musikgeschichte gewählt.

Das Motiv wurde immer wieder verwendet. Auf Taschen und Schuhen, Krawatten und Gitarrengurten. Was er für seine Arbeit bekommen hat? „50 Pfund, bei Abtretung sämtlicher Rechte, mehr war damals für ein Cover nicht drin.“ Es ärgert ihn kein bisschen.

Klaus Voormann ist längst selbst eine Legende. Als Grafiker mit Ausstellungen auf der ganzen Welt. Und als Bassist in der Manfred Mann Band, bei Carly Simon, Randy Newman, Eric Clapton oder B. B. King. Er hat John, George und Ringo bei ihren Solo-Projekten am Bass begleitet, nachdem sich die Beatles im April 1970 getrennt hatten. „Das war für mich keine Überraschung, sie waren schon lange vorher zerstritten.“ Dass sie musikalisch so unterschiedlich gewesen sind, sei ihre große Stärke gewesen. „Aber irgendwann mussten sie einfach in verschiedene Richtungen gehen.“

Er blieb mit allen befreundet. Dass man ihn gerne den „fünften“ Beatle nennt, stört ihn nicht, obwohl er immer betont, dass andere wie Stuart Sutcliffe, Pete Best oder Produzent George Martin den Titel viel eher verdienten. Andererseits war er ja einmal tatsächlich der „fünfte“ Beatle. In einer Session 2008 für sein eigenes Album „A Sideman’s Journey“ ließen er und Paul McCartney die Szene noch einmal aufleben.

Es war 1961 im Top Ten auf der Reeperbahn, als ihm Stuart Sutcliffe mitten in der Nacht seinen Bass in die Hand drückte: „Spiel du doch mal, Klaus!“ Voormann meint, es müsse wohl an seinem Whiskey-Konsum gelegen haben, dass er es wagte, sich das Instrument zu schnappen. Paul schrie: „Hey, komm doch rauf zu uns!“ Doch Klaus Voormann traute sich nicht auf die Bühne. Sie spielten „I’m In Love Again“ von Fats Domino. Kann gut sein, dass sie auch „Blue Suede Shoes“ gespielt haben. Die Beatles. Und Klaus Voormann auf dem Stuhl mit dem Bass.