Hamburg. Philipp Poisel wollte Realschullehrer werden, jetzt ist er Popstar. Am Freitag erscheint sein neues Album “Mein Amerika“.

Auf den ersten Blick wirkt der noch sehr junge Bursche fast ein wenig verloren in seiner Tagessuite im Hamburger East Hotel. Philipp Poisel trägt blond gesträhnten Haarschopf, eine gekonnte Weiterentwicklung der Justin-Bieber-Frisur, die Kleidung ist leger. Er grüßt freundlich, fester Händedruck, und blickt aus sehr hellblauen Augen in die verregnete Hamburger Welt.

Mehrere Top-Ten-Hits, Platinalben und ausverkaufte Tourneen hat er hinter sich. Poisel gelingt das, wovon so manche hochgezüchtete Band träumt. Sein Konzert am 29. März in der Hamburger Barclaycard Arena ist schon fast ausverkauft. Und das, obwohl sein neues Album das erste seit sechs Jahren ist.

Beiläufig presst er die Sätze heraus

Wie schafft einer das, der sich einfach mit einer Gitarre auf die Bühne stellt und Zeilen singt wie diese: „Wie zwei Köter unterm Himmel immer weiter Richtung Nacht. So verloren, so verschieden. Weißt du, was du eigentlich willst?“ Mit „Erkläre mir die Liebe“ eröffnet er sein neues Album „Mein Amerika“.

Die Art, wie er fast beiläufig die Sätze herauspresst, die Melodien sich zu großen Emotionen aufschwingen und Texte untermalen, die das Pathos nicht scheuen: All das erinnert an einen anderen deutschen Sänger, Herbert Grönemeyer. Das kommt nicht von ungefähr. Der Elder Statesman des deutschen Pop entdeckte Poisel und produziert ihn auf seinem Label Grönland Records.

Musikalischer Wandel

Zwei erfolgreiche, überwiegend akustisch gehaltene Alben hat er eingespielt. Nun kommt mit der persönlichen Würdigung des großen Kontinentes gleich auch ein musikalischer Wandel hinzu. Ein satterer Klang, eine echte Band. Poisel ist einer, der sich erst sortiert, bevor er spricht. Fast kann man ihn denken hören. „Ich wollte mir Zeit lassen, mich zu verändern. Ich hatte auch immer stärker den Wunsch, eine richtige Band zu haben“, sagt er.

Man spürt durch die Liedzeilen hindurch die Weite Amerikas, die Highways, die grandiose Natur. Die aktuelle politische Lage beschäftigt ihn, gibt er zu, aufs Album gefunden hat aber nur der Mythos Amerika. Entstanden ist das Werk in der Country-Metropole Nashville/Tennessee, in dem legendären Blackbird Studio, in dem schon Springsteen oder R.E.M. aufgenommen haben. Spring-steens „Streets Of Philadelphia“?

Amerika-Sehnsucht

Eine Jugenderinnerung, die eine Amerika-Sehnsucht bei Poisel auslöste. Immerhin zwei Wochen lang reiste er herum, auf der Suche nach Inspiration. „In Nashville wird in jeder Bar Musik gemacht. Da herrscht eine richtige Goldgräberstimmung.“ Die Songs, deren Gerüst im Kopf schon stand, hat er hier mit Leben gefüllt. Mit Gitarre, Bass, Drums und einem Wurlitzer Piano.

In „Roman“ singt er „Ich will ein Roman sein auf den Seiten deines Lebens, geschrieben mit der schwarzen Tinte deines Herzens“. Es sind gefühlsechte Balladen, für die seine Anhänger diesen grenzenlos sympathischen Burschen lieben. Er hat keine Probleme, sie auch auf großer Bühne glaubhaft rüberzubringen.

„Musik war für mich immer ein Ausweg“

„Musik war für mich immer ein Ausweg, Gefühle, die ich nach Gesprächen hatte, zu lösen“, sagt er. „Ob ich sie in einer großen oder kleinen Halle performe, macht keinen Unterschied. Wenn ich die Vorstellung habe, die Leute kommen, um mir zuzuhören, und nicht, um mit Tomaten zu werfen, freue ich mich.“ Post bekommt er von Frauen wie von Männern. „Manche Männer fragen, wie sie mit meiner Musik eine Frau rumkriegen oder ihre Ehe retten können“, sagt er. „Dann sage ich natürlich, dass ich nichts dazu beitragen kann.“

Poisel findet seine Ideen, wo er geht und steht, beim S-Bahn-Fahren, wo er selten erkannt wird, beim Spazierengehen. Manchmal auch nachts im Wald. „Es gibt eine Schönheit im Dunkeln, die man so nicht sieht. Melancholie ist ein Gefühl, Optimismus eine Einstellung. Ich finde, dass beides geht“, sagt er überzeugt. „Wenn die Tage am dunkelsten sind, sind die Träume am größten“, lautet eine seiner schönsten Liedzeilen.

Hindernisse haben ihn nicht aufgehalten

Poisel lernte als Kind Schlagzeug und Gitarre, nahm sich selbst mit einem Kassettenrekorder auf. Als Jugendlicher wurde ihm der Austritt aus einem Chor nahegelegt. Nach dem Abitur scheiterte Poisel, der Realschullehrer für Englisch, Kunst und Musik werden wollte, ausgerechnet an der Aufnahmeprüfung im Fach Musik. „Ich wollte, dass Leute, die sich für unmusikalisch halten, trotzdem musizieren können. Es ist wichtig, dass man etwas aus Freude macht und nicht nur, weil es bewertet wird.“

Philipp Poisel:
„Mein Amerika“,
im Handel ab
dem 17.2.
Philipp Poisel: „Mein Amerika“, im Handel ab dem 17.2. © Grönland Records

Die Hindernisse haben ihn nicht aufgehalten. Vom Erfolg und dem mittlerweile spürbar auf ihm lastenden Druck erholt er sich in Momenten in der Natur, beim Schreiben, das einmal in einen Roman münden soll und beim Malen. Grönemeyer hat er schon lange nicht mehr persönlich getroffen. Aber Dinge, die er ihm am Anfang seiner Karriere gesagt hat, haben für ihn bis heute Gültigkeit. „Er hat mich eine Entspanntheit gelehrt. Die zweite Platte muss nicht perfekt sein, sagte er.“ Für die meisten Musiker ist die zweite Platte die schwierigste. „Die dritte war auch nicht einfach“, sagt Poisel. „Ich hoffe, dass die vierte leichter wird.“ Talent ist das eine, Philipp Poisel hat dazu offenbar noch die richtige Lebenseinstellung.

Konzert am 29.3., 19.30, Barclaycard Arena, Sylvesterallee 10, Karten ab 46,- im Vvk.; www.philipp-poisel.de