Hamburg. 500 Gäste haben am Tag nach der feierlichen Elbphilharmonie-Eröffnung die Premiere einer lupenreinen Kammermusik-Arena gefeiert

Der Empfang der ersten rund 500 Gäste auf dieser musikalischen Neuland-Fläche war Einstimmung, im deutlichsten Sinne des Wortes. Schon während die Premieren-Besucher des ersten Konzerts im Kleinen Saal der Elbphilharmonie Donnerstagabend staunend den Raum betraten und im dezenten Dritteldunkel ihre Plätze suchten, diffundierten die Streicher des Ensemble Resonanz aus den vier Saalemporen-Ecken des eichenholzgetäfelten Schuhschachtel-Klanglabors mikrotonal gegeneinander verschobene Schallwellen auf sie hinab.

Georg Friedrich Haas hatte für die Uraufführung seines Kammerorchester-Werks „Release“ sein Markenzeichen der Perspektivenverschiebung verräumlicht und die Musiker wie fleischgewordene Lautsprecher in die Architektur integriert. Nicht nur die Streicher hatten wechselweise zwei Instrumente – eines normal, eines ganz knapp nach Komponisten-Vorschrift gegen den Strich verstimmt – zu spielen, es standen auch zwei Harfen auf der kleinen Bühne.

Nach und nach kamen die Solisten hinab ins Rampenlicht, sortierten sich dort neu und setzten die Hör-Reise ins vielharmonische Irgendwo mit beeindruckender Virtuosität fort. Die nach oben ansteigenden Teleskop-Podeste stapelten die Sitzreihen bis in die Nähe der Empore und sorgten so für unverstelltes Hören.

Die schillernden Reibungen und rhythmischen Phasenverschiebungen, die im Laufe einer kurzweiligen Viertelstunde daraus entstanden, hätte man auch als Vertonung der wellenförmig gefrästen Paneele dechiffrieren können. Bei seinem Einstand hatte das NDR Elbphilharmonie Orchester das bei Wagners „Parsifal“ geliehene Motto „Zum Raum wird hier die Zeit“ vorangestellt, hier jedoch wurde das Design zum Mischklang. Nur der Konzertflügel durfte bei dieser Portion Surround-Avantgarde so handelsüblich innerhalb der Stimmung bleiben, wie vom Werk geliefert. Wenige Meter nur sind der Große und der Kleine Saal voneinander entfernt, nur eine Tür trennt beide Foyer-Welten, und doch könnte der Kontrast der beiden nagelneuen Hamburger Spielstätten kaum drastischer sein. Nachdem der Große Saal am Vorabend mit einer überaus anspruchsvollen Mischung aus Alter Musik, klassischer und frischer Avantgarde eingeweiht wurde (die nicht allen behagte), startete das Ensemble Resonanz seine Ära als Residenz-Ensemble in der Elbphilharmonie mit einem komplett kompromisslosen Sortiment aus drei delikat angerichteten Zutaten. Der Uraufführung von Haas folgte zunächst eine Bearbeitung der „Sieben frühen Lieder“ von Alban Berg, denen Johannes Schöllhorn ein feinfliedrig parfümiertes Kammerorchester-Tüchlein aus spätestromantischem Streichertüll umgehängt hatte. Das Resultat wirkte mit seiner spätest­romantischen Noblesse wie eine nostalgische Rückblende kurz vor das Ende jener klaren Tonalität, die Haas wenige Minuten zuvor so virtuos atomisiert hatte.

Maßgeschneiderte Räume sind in Hamburg nichts Neues mehr für die Resonanzler, im Medienbunker an der Feldstraße haben sie mit ihrem „resonanzraum“ eine erstklassige Standbein-Adresse, nun also kommt der Kleine Saal hoch über der Elbe als Spielbein-Adresse dazu. Und nachdem der Kleine Saal mit seiner Deluxe-Buckelpisten-Wandvertäfelung wegen Last-minute-Verbesserungen an einer Vertäfelung erst vor gut einer Woche erstmals für Proben zur Verfügung stand, erwies er sich bei diesen ersten zwei Stücken als lupenrein liefernde Kammermusik-Arena. Glasklar definiert waren die Instrumentenstimmen. Für das silbrig schöne Nymphen-Stimmchen, mit dem San­drine Piau sich durch die vertonten Liebesbriefe gurrte, war dieses Ambiente ein allerliebster Rahmen.

Auch diesmal gab es Reden, mal ähnlich, mal weniger staatstragend als am Vorabend. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bezeichnete das Gebäude gestern als „großes eingelöstes Versprechen“ und appellierte an Anwesende und andere private Gönner, dass es für das freie Ensemble trotz der aufgestockten Subventionen „nicht reichen würde“. Intendant Christoph Lieben-Seutter gönnte sich den Pointenschlenker, er könnte den Großen Saal momentan auch mit kammblasenden Putzfrauen ausverkaufen. Beide vollzogen nach Ende des umjubelten Konzerts den fliegenden Wechsel von einem Saal-Einstand zum anderen.

Für das Erstpublikum im Kleinen Saal blieb es in der zweiten Hälfte spannend, denn ihre Neugier auf Lohnendes und weniger Bekanntes wurde mit Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ auf hohem Niveau gefordert und belohnt. Das Ensemble Resonanz hatte sich auf 30 In­-
s­trumente aufgestockt, die Bühne war damit bis an den Rand einer sinnvollen Kapazität belegt. Auch diese Aufgabe mit Übergröße meisterten die Resonanzler mit spielerisch leichter Konzentration. Das „into the unknown“-Programm wird im Kleinen Saal am 15. bzw. 20. Januar wiederholt. Wie alles andere bis zur Sommerpause sind auch diese Konzerte in der Elbphilharmonie ausverkauft.