Hamburg. Neujahrsempfang Die Hamburger Szene hat ein großes Thema: die Eröffnung der Elbphilharmonie. Man hofft auf einen Schneeballeffekt
„Sehen wir uns am Mittwoch ...?“ In den Gesprächen der Hamburger Kulturschaffenden und Kulturermöglicher geht es beim Abendblatt-Neujahrsempfang um so manches – aber immer auch um die anstehende Eröffnung der Elbphilharmonie. Nicht weniger als eine Zeitenwende, eine neue Ära wurde der Szene immerhin prophezeit, eine Erwartungshaltung, die von manchem durchaus süffisant kommentiert wird: „Wir wollen mal nicht übertreiben“, bremst etwa Thalia-Intendant Joachim Lux den stellenweise eher unhanseatischen Übermut mit nachsichtigem Lächeln, „neue Zeitrechnungen begannen mit dem Mauerfall oder dem Silicon Valley.“ Auf eine „große Dynamik für die Musik- und Theaterstadt insgesamt“ aber hofft auch er – und darauf, dass der Mut, „kulturell groß zu denken“ weiterwächst. Das internationale Festival „Theater der Welt“ im Mai, an dem Lux beteiligt ist, sei das nächste Großereignis, „wenn auch“, so viel Seitenhieb muss sein, „mit einem Bruchteil des Geldes“.
Zunächst aber freut sich Joachim Lux auf die Eröffnungen des Großen und des Kleinen Saals, wie auch Isabella Vértes-Schütter (Ernst Deutsch Theater): „Ich wäre gern auch zum ersten Konzert der Symphoniker gegangen, habe aber an dem Abend öffentliche Hauptprobe“, bedauert die Intendantin, die für die schwangere Pheline Roggan die Hauptrolle in der Premiere von „Foto 51“ übernimmt.
Christian Seeler, noch bis zum Ende dieser Saison Intendant des Ohnsorg-Theaters, wird den Klang der Elbphilharmonie erstmals am 12. Januar, bei der zweiten Gala-Eröffnung, erleben. Er glaubt fest daran, dass Hamburg vom „weltweit strahlenden Glanz der Elbphilharmonie“ profitieren wird. Welches Konzert er privat nach der Eröffnung als Erstes besuchen wird, weiß er noch nicht, bleibt aber gelassen: „Ich lasse den Hype vorbeiziehen.“
Das hat Christian Seeler mit Rainer Moritz gemeinsam. „Ich ignoriere das erst einmal und warte ab“, sagt der Leiter des Hamburger Literaturhauses und bescheinigt dem Eröffnungsrummel, noch reichlich wenig mit den Inhalten eines Konzerthauses zu tun zu haben. „Im Moment könnten wir da wohl das Pinneberger Telefonbuch vorlesen lassen, und es wäre ausverkauft“, spottet Moritz. „Aber natürlich glaube ich, dass die Kultur durch diese Eröffnung grundsätzlich nur gewinnen kann.“
Der Schauspieler Burghart Klaußner erhofft sich für den Kulturstandort ebenfalls eine Art Schneeballeffekt. „Wenn man bei Katastrophen immer von neuen Zeitrechnungen spricht, können wir das ruhig auch mal bei positiven Ereignissen tun. Dass ein kulturelles Monument den Namen der Stadt hinaus in die Welt trägt, ist doch etwas Besonderes.“ Beim Kartenkauf setzt Klaußner auf das Prinzip Abwarten. „Das habe ich in meiner Karriere schon immer so gemacht.“ Der Schauspieler freut sich jedoch in dieser Woche nicht nur über die Elbphilharmonie, sondern auch über die Golden-Globe-Verleihung. Als beste TV-Serie wurde die erste Staffel der Netflix-Produktion „The Crown“ ausgezeichnet – in der zweiten Staffel, die schon abgedreht ist, spielt Klaußner mit, Regie führte Stephen Daldry („Der Vorleser“).
So kann es also aussehen, wenn die Kultur der Stadt international strahlt. Die Ikonografie einer Stadt sei wichtig, findet auch Filmfest-Chef Albert Wiederspiel. Er hofft allerdings, dass niemand „vor lauter Elbphilharmonie-Eifer anfängt uns wegzusparen“. Und schließlich: „Wenn der Leuchtturm nichts zum Beleuchten hat, macht er ja keinen Sinn“, weiß Sommerfestival-Kurator András Siebold. „Jetzt hat die Stadt gezeigt, dass sie Energie und Mittel aufbringen kann, das muss sie jetzt für den Rest der Kultur auch verstärkt tun.“
Im Eröffnungskonzert wird Siebold wohl auch auf Alex Schulz treffen, den Begründer des Reeperbahn-Festivals. „Die Elbphilharmonie ist eine Chance, um Hamburg in eine andere Position zu bringen“, meint der. Und plädiert dafür, jetzt auch die Arbeit an der Basis zu verstärken und auch den Mut zu zeigen, Dinge mal scheitern zu lassen. „Eine richtige Musikstadt ist man erst dann, wenn auch mal wieder ein eigener Sound aus Hamburg kommt.“
Die meisten Hamburger Museumsdirektoren sind sich derweil darin einig, dass mit der Eröffnung der Elbphilharmonie für Hamburg zumindest als Kulturstadt eine neue Zeitrechnung beginnt. „Ein Konzerthaus von dieser Qualität ist nicht allein für die Musikszene wichtig, sondern führt auch dazu, dass Hamburg insgesamt viel stärker als Kulturstadt wahrgenommen wird. Das hilft auch den Museen“, meint Hans-Jörg Czech, der neue Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte. Karten hat er noch keine, seine Kollegin Sabine Schulze vom Museum für Kunst und Gewerbe hingegen ist überglücklich, zum Eröffnungskonzert geladen zu sein. „Wenn Hamburg sich jetzt als Kulturmetropole präsentiert, hoffe ich sehr, dass das auch die anderen Kulturinstitutionen miterfassen wird“, sagt sie. „Wahrscheinlich werden die Museen von dem stärkeren Fokus auf die Kultur profitieren, sie müssen aber auch finanziell so ausgestattet sein, dass sie den damit verbundenen Erwartungen auch gerecht werden können.“
Das zweite große Thema der Hamburger Kulturszene neben der Konzertsaaleröffnung bleibt währenddessen weiterhin im Ungefähren: Kulturstaatsrat Carsten Brosda jedenfalls, der seit Monaten die verstorbene Kultursenatorin Barbara Kisseler vertritt, ohne dass sich ein anderer Nachfolger in Position brächte, schweigt gewohnt eisern zu Fragen nach der Zukunft des Amtes oder seiner persönlichen. Was der Staatsrat stattdessen verrät: dass er sich – außer der Eröffnung, versteht sich – am meisten auf das erste Konzert von Lambchop, der Alternative-Country-Band aus Nashville, und auf den Abend mit Gustavo Dudamel am Dirigentenpult freut. Und auch er hofft langfristig darauf, „dass der veränderte Blick auf Hamburg auch etwas mit der Stadt macht“. Die Zeichen stehen auf Aufbruch. Man sieht sich am Mittwoch.