Hamburg. Beim mit 2700 Fans glänzend besuchten Hamburg-Heimspiel im Mehr! Theater waren viele alte Hits zu hören. Zum Schluss gab es einen Heiratsantrag auf offener Bühne
Ach, Nena! Hätte sie bloß ein bisschen mehr gesungen. Aber nein, sie musste ja unbedingt so häufig reinquatschen in die Songs und in die Pausen zwischen den Songs, und so versabbelte sie ihr Hamburger Heimspiel am Donnerstagabend im Mehr! Theater leider ziemlich.
Es hätte auch gereicht, wenn sie ein-, na ja, vielleicht zweimal mit ihrem Alter, 56, kokettiert hätte („Ich brauche eine Verschnaufpause – ich bin ja nicht mehr die Jüngste!“), aber tut es wirklich Not, seinem Publikum gleich viermal kurz hintereinander diesen Spiegel des allgemeinen Verfalls vorzuhalten? Es schmerzhaft daran zu erinnern, wie lange die 80er-Jahre schon her sind? Immerhin entsprangen die meisten, die 50 bis 65 Euro für eine Karte bezahlt haben, Nenas Generation; darunter waren nicht wenige, die ihre Kinder und Enkelkinder mitgebracht hatten, um denen zu demonstrieren, was sie damals, während der Neuen Deutschen Welle, in Scharen auf die Tanzflächen und in die Plattenläden getrieben hatte.
Für die anfängliche Dramaturgie dieses Konzertabends gibt es jedoch nur ein Wort: perfekt. Daniel Biscan und seine Band kamen als Vorgruppe kraftvoll und kristallklar rüber und straften alle Kritiker Lügen, die nach wie vor steif und fest behaupten, dass die Akustik im Mehr! Theater häufig zu wünschen übrig lasse.
Doch als das Publikum sich nun aufgeheizt und frohgemut Nenas Auftritt entgegensehnte, enterten überraschenderweise erst einmal ein paar Hip-Hopper die Bühne, die sich Rabbbooz oder so ähnlich nannten und wie ein musikalisches Störfeuer wirkten; ganz abgesehen davon, dass sie kaum zu verstehen waren. War das vielleicht eine Idee ihres neuen Produzenten Samy Deluxe?
Wenn ja, dann war das eine superclevere Idee: Denn nach diesem hammerharten Cool-down konnte es schließlich nur noch aufwärtsgehen. Das passierte in der Tat und zwar „Genau jetzt“ um 21.10 Uhr, als Nena mit eben diesem Song aus ihrem neuen Album „Oldschool“ ein fulminantes Opening hinlegte: Rote Laser schossen durch die Halle, die Bässe knallten aufs Bauchfell und sorgten augenblicklich für Wohlgefühl. Gleich hinterher gab es eine ihrer Hymnen überhaupt, „Nur geträumt“. Spätestens jetzt hatte sie die knapp 2700 Besucher gewonnen, die nur einen Song später begeistert „Ja!“ schrien, als sich jeder einzelne von ihr gefragt fühlte: „Willst du mit mir gehen?“
Dazu schunkelte bereits der „99-Lichterchor“ mit, und das war schon eine sehr hübsche Idee, die absoluten Hardcore-Fans als lebenden Hintergrund ins Bühnenbild zu integrieren. Diese exklusiven Plätze waren online verlost worden.
Ach, Nena: So hätte es weitergehen können, aber irgendwie, irgendwo, irgendwann verlor sie plötzlich den Faden und die Show zerfaserte zuhörends. Die Übergänge von den lauten zu den leisen Tönen („Die Antwort weiß ganz allein der Wind“) zogen sich manchmal schier endlos hin, wurden zugetextet, und Nena hüpfte rastlos über die Bühne wie das Girlie von einst. Ja, sie war mal hier, mal da, überall und nirgends, brach einen Song („Heute komme ich“) nach 45 Sekunden plötzlich ab, um die „Großeltern“ auf dem ersten und zweiten Rang aus ihren bequemen Sesseln zu nötigen.
Das Publikum sang bei alten Hits Zeile für Zeile mit
Sie begrüßte wortreich ihre Rahlstedter „Hood“ und die Schülerinnen und Schüler und die Lehrerinnen und Lehrer der von ihr gegründeten Neuen Schule, sodass ununterbrochen wertvolle Minuten verrannen. Und je länger das Konzert dauerte, desto mehr Gas musste die fantastische Begleitband und ihre nicht minder fantastische Back-up-Sängerin, Nenas Tochter Larissa, geben. Ganz zum Schluss, um es vorwegzunehmen, konnte dann auch ihr Sohn Sakias zeigen, was er stimmlich draufhat – und das ist eine ganze Menge.
Nicht zu vergessen war da aber auch das Publikum, das äußerst textsicher zumindest Nenas ältere Songs Zeile für Zeile mitsingen konnte, sodass die über weite Strecken bloß noch das Mikro vor ihre Fans hielt, statt selbst zu singen. Doch je mehr sie um sich selbst kreiste, desto mehr schien sie sich selbst im Weg zu stehen; desto matschiger wurde der Sound, desto weniger konnte man sie hören, und so schlafften selbst die „99 Luftballons“ ab.
Vielleicht lag es ja daran, dass ihre Stimme, die selbst mit rockigsten Gitarren bisher immer hervorragend funktioniert hat, mit dem unterschwellig-dröhnigem Samy-Deluxe-Sound nur etwa drei viertel so gut harmoniert? Schwamm drüber. Man muss wohl akzeptieren, dass die Ikone der lässigen Leichtigkeit zur Berufsjugendlichen mutiert ist. Aber sie sollte sich und ihrem Publikum zukünftig einen großen Gefallen tun und nie wieder wie am Donnerstag einen spontanen Heiratsantrag während eines Konzerts zulassen. Vor allem dann nicht, wenn ein Bräutigam in spe regelrecht auf die Bühne geprügelt werden muss, weil er offenbar lieber „Nein!“ sagen möchte.