Hamburg. Der britische Schriftsteller Robert Harris hat mit „Konklave“ einen spannungsreichen Papstthriller geschrieben. Und dabei die Bibel für sich neu entdeckt

Früh am Morgen, kurz nach dem Interview mit dem britischen Bestsellerautor Robert Harris, steigt in Hamburg weißer Rauch auf. Habemus papam? Ach nein, doch nur Nebel.

Harris’ neuer Roman „Konklave“, der bereits kurz nach Erscheinen in den Top Ten der Bestsellerlisten stand, lässt einen so schnell nicht los. Es ist ein spannungsreich geschriebener, dramaturgisch gekonnt gebauter Thriller, der seine Leser tief in die Geheimnisse des Vatikans führt. Der Papst ist tot, schon auf den allerersten Seiten. Ein neues Oberhaupt muss gewählt werden. Das Konklave, diese uralte, streng geheime und geheimnisvolle Versammlung aller wahlberechtigten Kardinäle der römisch-katholischen Kirche, wird einberufen. Und es entbrennt ein Wahlkampf, der nicht allein die gütigsten Seiten des Christentums hervorkehrt.

Robert Harris, zu dessen Büchern die weltweit millionenfach verkauften „Vaterland“, Enigma“ (mit Kate Winslet verfilmt) und „Ghost“ (von Roman Polanski verfilmt) gehören, beschäftigte sich wiederholt geradezu obsessiv mit dem Thema Macht. Für „Konklave“ hat er sich ausführlich mit dem Katholizismus befasst, hat Vatikan-Experten (auch einen Kardinal) getroffen, das Kirchenrecht studiert, den Vatikan dort besucht, wo Besucher sonst keinen Zutritt haben – und in der Bibel gelesen. Wir trafen ihn am Tag seiner Hamburg-Lesung zu einem Gespräch über Glauben, Kirche und Zweifel.

Mr. Harris, ­glauben Sie an Gott?

Robert Harris: Oh, das ist eine sehr große Frage. Ich bin sicher kein Atheist. Mein Leben lang war ich mir einer Art „anderen Kraft“ bewusst, einem „Etwas“. Ich würde mich allerdings nicht als fest im christlichen Glauben verankert sehen, obwohl ich in dieser Tradition groß wurde. Sagen wir es so: Ich würde Gott nicht verhöhnen.

Wann haben Sie zuletzt gebetet?

Ich würde wohl nicht auf die Knie gehen, um zu einem christlichen Gott zu beten. Auf diese Art beantworte ich vielleicht auch Ihre erste Frage. Agnostiker trifft es womöglich. (lächelt) Sie merken, ich bin ein typischer Engländer, ich schummele mich um eine direkte Antwort herum.

Hatte die intensive Beschäftigung mit dem Thema für Ihr Buch denn eine Auswirkung auf Ihren persönlichen Glauben?

Je mehr man von einer Sache weiß, je mehr man glaubt, sie zu verstehen, desto sympathischer wird sie einem. Ich begreife also das Christentum mehr, ich begreife den Glauben mehr. Ich habe höheren Respekt davor. Glaube ich darum an die Auferstehung? Nein. Bin ich dem nähergekommen? Ja.

Sie sind nicht getauft, haben jedoch kürzlich gesagt, Sie wären es gern. Ist Ihnen das Gefühl vertraut, Menschen mit einem starken Glauben darum zu beneiden?

Ja, es muss wundervoll sein, von der Angst vor dem Tod befreit zu sein. Und ja, ich wäre gern getauft, weil ich finde, dass es einfacher ist, wenn einem diese Entscheidung in sehr jungen Jahren abgenommen wird. Meine Frau und ich haben kirchlich geheiratet, wir haben unsere vier Kinder getauft, und ich hätte gern auch ein kirchliches Begräbnis. Ich denke, in der Church of England geht das auch ungetauft. Es geht fast alles in der Church of England.

Fast noch mehr hat Sie nun aber offenbar die katholische Kirche fasziniert.

Die Papstwahl hat mich immer fasziniert. Es ist die älteste Wahl der Welt, 700 Jahre alt, und die geheimste. Meine Faszination war zunächst eher säkular. Aber ohne das Göttliche hätte ich sicher keinen ganzen Roman darüber schreiben können. Das zwang mich, einen Haufen Fragen zu stellen, auch mir selbst, und über Dinge nachzudenken, über die ich bislang nicht nachgedacht hatte. Ich musste mich in eine Hauptfigur hineindenken, die ihr Leben in den Dienst Gottes gestellt hat. Sie können nicht Monate Ihres Lebens damit zubringen, sich mit der Innenwelt einer solchen Figur zu beschäftigen, ohne dass das einen Effekt auch auf den Schriftsteller hätte.

Wie hat sich Ihre Einstellung zur Institution Kirche dadurch verändert?

Mein Respekt für die Kirche und für die Kardinäle ist deutlich gewachsen. Man hat vielleicht von außen den Eindruck, das ist ein Haufen seltsamer älterer Männer, aber ich musste anerkennen, wie hochintelligent sie sind, welche Rolle sie in der Welt spielen. Mein Kardinal, der Protagonist, war einer, an den ich aufgrund seiner eigenen Zweifel glauben konnte. Durch diese Zweifel, seinen spirituellen Konflikt, war es mir möglich, eine tiefe Verbindung zu ihm zu finden. Das betrifft auch den Zölibat: Ich war ja gezwungen, mich hineinzudenken in jemanden, der so lebt. Empathisch. Ich habe versucht, eine glaubwürdige Erklärung zu finden, warum der Zölibat diese Figur nicht schwächer, sondern kraftvoller gemacht hat. Ich habe aber auf der anderen Seite auch Kardinal Tedesco erfunden, den Hardliner, der den Fortschritt bekämpft und für eine Verhärtung der Konflikte steht ...

... der Trump unter den Kardinälen ...

Exakt! Und dann gibt es die versöhnliche Fraktion, die eher den Kern des Christentums ausmacht, die dem, wie Jesus Christus wohl argumentiert hätte, näherkommt.

Wie bibelfest waren Sie, als Sie zu schreiben begannen?

Eine meiner Hauptvorbereitungen für diesen Roman war, dass ich das Evangelium gelesen habe. Ziemlich schnell, fast als läse ich einen Roman. Ich hatte seit der Schule nicht mehr in der Bibel gelesen. Und ich war überwältigt, was vielleicht merkwürdig klingt für einen Mann meines Alters, aber ich war wirklich überwältig von der historischen Figur des Christus und der revolutionären Kraft, die in dieser Figur steckt. Von seiner Armut, auch von seiner Radikalität. Und dann sieht man die Kirche, ihren Wohlstand, wie sie sich geradezu selbst anbetet. Diesen Kontrast fand ich unglaublich reizvoll. Und ich musste schließlich eine Predigt schreiben! Eine, die ein Dekan des Kardinalskollegiums halten könnte! Für einen nicht getauften Anglikaner durchaus eine Herausforderung. Das Kraftvollste, was mir in den Sinn kam, war das, was dieser Kardinal Lomeli tut: den Zweifel zu feiern. Ohne Zweifel kein Glaube. Absolute Gewissheit ist furchterregend, das gilt auch für die weltliche Politik.

Verschwörungstheorien, Korruption, Intrigen ... Sie waren zur Recherche im Vatikan. Ist es das, was Sie dort vorgefunden haben?

Ich bin jetzt nicht direkt darüber gestolpert, als ich dort war, aber ich habe natürlich vieles gelesen, auch mit vielen Menschen gesprochen. In meinem Roman ist ja höchstens ein Zehntel dessen verarbeitet, was noch hätte Platz finden können. Ich wollte nicht all die Skandale aufwärmen. In diesem Buch ist niemand wirklich abgrundtief böse.

Sie thematisieren eigentlich alles, was man der katholischen Kirche vorwerfen kann und muss. Trotzdem wirkt der Ton insgesamt versöhnlich.

Ich habe das nicht direkt geplant, aber es hat sich so ergeben. Das hat auch mit dem versöhnlichen, vergebenden Charakter der Hauptfigur zu tun.

Sie haben sich im Vatikan auch an Orten umsehen dürfen, die normalen Besuchern verschlossen bleiben. Haben Sie sich davon genaue Notizen gemacht, oder durften Sie auch fotografieren oder gar filmen?

Alles. Ich habe Notizen und Fotos gemacht – und wünschte im Nachhinein, ich hätte noch mehr Videos gemacht. Es war für den Roman unglaublich hilfreich, das alles gesehen zu haben.

Wie kompliziert war es, diesen Zugang zu erhalten?

Ich habe schriftlich darum gebeten, die Locations sehen zu dürfen, an denen mein Roman spielen würde. Schon nach rund einer Woche bekam ich eine Erlaubnis. Ich musste ja die Casa Santa Marta sehen, das Gästehaus, ich musste den Weg abgehen, den die Kardinäle zur Sixtinischen Kapelle gehen würden, ich musste in die Sakristei, in der ein neuer Papst eingekleidet wird, und natürlich zum Balkon, von dem aus er sich erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

Durften Sie auf den Balkon?

Ich habe den Vorhang zur Seite geschoben und hinausgespäht.