Hamburg. Der deutsche Fotograf Peter Keetman wird mit einer Retrospektive geehrt, ergänzt mit Bildern u. a. von Avedon und Penn.

Ein junger Mann mit Krücken sitzt am Boden. Den tief gesenkten Kopf hat er in die Armbeuge gedrückt. 1948 hat Wolfgang Reisewitz diesen Moment in einem Garten aufgenommen. Es zeigt Peter Keetman (1916-2005), der im Krieg ein Bein verloren hatte, und der trotz des Leids, das er an Körper und Seele mit sich herumtrug, zu einem der bedeutendsten deutschen Fotografen der Nachkriegszeit wurde, unermüdlich in seinem Schaffensdrang, innovativ, experimentierfreudig und ­jederzeit fähig, wie ein Kind zu staunen über die Wunder der Welt.

Zum 90. Geburtstag von F.C. Gundlach, der Keetman schon 1982 sammelte und ausstellte, und der dessen Nachlass besitzt, wurde jetzt im Haus der Photographie in den Deichtorhallen eine große Doppelausstellung eröffnet. Die kühl und sehr sorgfältig von Sebastian Lux und Senior Gundlach kuratierte Keetman-Retrospektive füllt zwei Drittel der Halle, für das übrige Drittel hat Sabine Schnakenberg am Beispiel von 70 Arbeiten dreier weltberühmter Lieblingsfotografen Gundlachs herausgearbeitet, wie unterschiedlich mit Licht, Linie und Haltung umgegangen werden kann. Es sind George von Hoyningen-Huene, ­Richard Avedon und Irving Penn.

Aber zurück zu Peter Keetman, dem rührigen Deutschen, der das Fotografenhandwerk von der Pieke auf gelernt hatte, und der nun, als einer, der den Krieg überlebt hatte, den Ruch, der durch die Nazi-Propagandabilder auf der deutschen Fotografie lag, durch völlig neue Sichtweisen zu tilgen suchte. Nichts war ihm zu unbedeutend, um es zu fotografieren, selbst ein geknickter Binsenhalm nicht, der es, als Symbol für die eigene Biografie und als grafisch-abstraktes Zeichen auf die Titelseite des von Gerhard Steidl so anspruchsvoll verlegten Katalogbuches geschafft hat.

So abstrakt sah Peter Keetman die
Kotflügel bei VW
So abstrakt sah Peter Keetman die Kotflügel bei VW © Stiftung F.C. Gundlach

Sein Blick auf die Natur, die Schöpfung hat nur selten etwas romantisch Verklärtes. Stattdessen erfasst Keetman Linien und Strukturen auf unterschiedlichen Abstraktionsstufen. Er fotografiert schimmernde, an einem Steg haftende Eisschichten, die sich im welligen Wasser spiegeln, harte Grashalme, die wie grafisch vereinfachte Tiere über den weißen Schnee zu krabbeln scheinen, weiß aus dem schlierigen Chiemsee aufleuchtende, vom Gegenstand losgelöste rundliche Schneeinseln, Insekten- und Vogelschwärme.

Grenzenlose Experimentierfreude

Mit fast grenzenloser Experimentierfreude dringt Keetman immer weiter vor in eine neue Bildsprache, er arbeitet mit Verfremdungstechniken, Makroaufnahmen, Fragmentierung und spielt mit Belichtungszeiten. Im Zuge der Mechanisierung des Alltags und der großstädtischen Beschleunigung bildet Keetman das Rhythmisierte, Serielle von Massenproduktion, das Gelenkte, Normierte, auch Chaotische der Massengesellschaft ab.

Von 1949 bis 1953 tut er sich mit anderen Jungfotografen zu der Gruppe „Fotoform“ zusammen; die Rückseiten einiger Fotos belegen, wie deutlich sie sich gegenseitig kritisieren. „Was wir wollen, ist: den Konservativismus brechen, etwas Neues überzeugend bieten, den Leuten die Augen öffnen“, sagt er 1949. Bald schon macht Keetman wieder alleine weiter.

Spiel mit der Linie

Mit seinen Lichtzeichnungen verabschiedet er sich komplett ins Abstrakte: Am Ende eines Drahts, der von oben gedreht wird, ­fixiert er eine winzige Lampe, darunter dreht sich auf einem Grammophon eine Kamera – die daraus entstandenen, oft spiralförmigen Lichtpendelbilder auf Schwarz haben eine kühle Eleganz. Und wenn Keetman in spärlichem Licht Wassertropfen fotografiert, macht er daraus etwas Geheimnisvolles, Schönes – seine Aufnahmen sind Irrlichter zwischen Chaos und Ordnung.

Der Fotograf und
Sammler F.C.
Gundlach ist
kürzlich 90 Jahre
alt geworden
Der Fotograf und Sammler F.C. Gundlach ist kürzlich 90 Jahre alt geworden © picture alliance / dpa

Legendär sind die Aufnahmen, die er 1953 eine Woche lang und ohne Auftrag, also völlig frei, im VW-Werk ­machen darf. Wie im Rausch entdeckt er überall abstrakte Naturformen, gestaffelte Kotflügel wie Teile von Schneckenhäusern, Kegelräder gleich sternförmigen Blumen, metallene Innenteile wie die Schuppen eines Panzers, eine metallisch glänzende Schraubenpumpe, die einem geflochtenen Zopf ähnelt.

Im Spiel mit der Linie liegt die sonst nur schmale Verbindung zu George von Hoyningen-Huene, Richard Avedon und Irving Penn, von denen ­Sabine Schnakenberg zwar einige ­berühmte Hauptwerke ausgesucht hat, aber auch unbekannte, sehr spannende Bilder, die meist eine durchdachte Kon­struktion erkennen lassen: Avedon fotografierte beispielsweise Marlene Dietrich als überschminkte Comédienne mit Dior-Turban, nach Irving Penn dagegen dreht sich die Diva im Dreieck ihres schwarzen Mantels erstaunlich scheu um. Und auch an Porträts des Schriftstellers Truman Capote lässt sich der Stil der drei Starfotografen trefflich vergleichen. Außerdem gibt es ein Wiedersehen mit der nackten Nastassja Kinski und weiteren Ikonen der Fotografie.

Peter Keetman/The Concept of Lines,
Werke aus der Sammlung Gundlach, Haus
der Photographie in den Deichtorhallen,
Deichtorstr. 1-2, Di–So 11.00–18.00, Do bis 21.00, Eintritt 10,-/erm. 6,-; bis 12.2.2017