Hamburg.

Nicht mal 100 Meter Luftlinie liegen zwischen dem Deutschem Schauspielhaus an der Kirchenallee und dem Ohnsorg-Theater. Dennoch trennen das größte deutsche Sprechtheater und die populärste niederdeutsche Bühne am Heidi-Kabel-Platz oft Welten. Nicht so am Montagabend: Im Ohnsorg stand, aufgelockert von Musik mit Love Newkirk und der „Soul Kitchen“-Band, die elfte Verleihung der wichtigsten Theaterauszeichnung der Stadt auf dem Plan, der „Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares“.

Egal wie oft (oder selten) Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier den Weg ins Ohnsorg bisher gefunden hat, gestern war er für die Staatstheater-Chefin ein leichter: Mit vier Auszeichnungen – wie alle 13 jeweils mit 1000 Euro und einem Montblanc-Füllfederhalter dotiert – war das Schauspielhaus nicht nur Gewinner des Abends, sondern der vergangenen Spielzeit.

Allen voran dank Edgar Selge („Polizeiruf 110“/ARD). Sein von Karin Beier im Februar inszenierter Monolog „Unterwerfung“ nach Michel Houellebecqs umstrittenen Roman galt vielen als Theaterereignis der Saison, bei einer Umfrage der Zeitschrift „Theater heute“ wurde Selge bereits als Schauspieler des Jahres ausgezeichnet. Nicht nur für Intendantin Beier ist der 68-Jährige bei seiner Solo-Performance zwischen Satire und Utopie als Erzähler und Literaturwissenschaftler François im muslimisch dominierten Frankreich des Jahres 2022 „die absolute Idealbesetzung“.

Anstelle des am Montag verhinderten Selge nahm Regisseurin Beier dessen Preis als „Herausragender Darsteller“ an. In derselben Kategorie wurde Robert Stadlober für „Private Peaceful“ in den Kammerspielen ausgezeichnet. Jedoch fehlte der Österreicher gestern ebenfalls, weil er sein bewegendes Antikriegs-Stück in Stade spielte. Dritter gleichrangiger Preisträger: Kristof Van Boven in Shaws „Pygmalion“ am Thalia.

In der Kategorie „Herausragende Inszenierung/Dramaturgie“ konnte sich Karin Beier über zwei weitere Auszeichnungen freuen: Für die Bühnenadaption von Herta Müllers 80er-Jahre-Fluchtgeschichte „Reisende auf einem Bein“ erhielt Katie Mitchell einen Preis, den in Abwesenheit der britischen Regisseurin die Dramaturgin Rita Thiele entgegennahm. Ebenso preiswürdig befand die Jury die Fontane-Adaption im Malersaal, „Effi Briest – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ von Clemens Sienknecht und Barbara Bürk, sogar zum Berliner Theatertreffen eingeladen. „Daran konnten auch wir nicht vorbeigehen“, erklärte die Jury-Vorsitzende Inge Volk den Preisregen fürs Schauspielhaus. Dessen vierte Auszeichnung, ein Preis für „Herausragendes Bühnen- oder Kostümbild“ mit der Performance-Installation des Duos Signa, überraschte: „Söhne und Söhne“ war in eine Ex-Gewerbeschule an der Averhoffstraße ausgelagert worden.

Ebenfalls ein Novum: In der vierten Kategorie „Herausragende Darstellerin“ beließ es die Jury bei zwei statt drei Preisen und zeichnete bei „Herausragende Inszenierung/Dramaturgie“ außer Clara Weydes Stück „Das Totenschiff“ vom Lichthof zusätzlich „Tallyman un Schutenschubser“ aus. In dem von Cornelia Ehlers entwickelten Projekt, eine Kooperation von Ohnsorg-Theater und Hafenmuseum, erzählten fünf frühere Hafen-Bedienstete als Laien-Darsteller ihr Leben und so ein Kapitel Hamburger Industrie-Historie. „Wir wollen auch künftig die Kategorien aufbrechen, Theater hat sich verändert“, sagte Inge Volk.

Kultur-Staatsrat Carsten Brosda lobte den Theaterpreis Hamburg in seinem Grußwort als „Zeichen der Wertschätzung der Theater gegenüber ihren Künstlerinnen und Künstlern und ein Zeichen der Zusammenarbeit der Theater der Stadt“. Das sei in keiner anderen Stadt zu finden.