Hamburg. Antú Romero Nunes’ Inszenierung des Bösewicht-Dramas „Richard III.“ verzichtet weitgehend auf politische Bezüge zur Gegenwart

Das Böse gibt den Takt vor. Eine riesige Pauke steht auf der zu Beginn leeren Bühne des Thalia Theaters, eine Pauke, auf der Jörg Pohl als Shakespeares Überfiesling Richard III. einen wahnwitzigen Rhythmus donnert. Und das Ensemble tanzt dazu, zuckt, trippelt, windet sich: willenlose Marionetten, ausgeliefert den Launen eines Irren.

Shakespeares „Richard III.“ ist ein Geschenk für jeden Schauspieler. Die Geschichte eines Emporkömmlings, der weder attraktiv noch charmant ist und der als einzige Chance sieht, jeden, der ihn auf seinem Weg nach oben stört, grausam zu beseitigen – in solch einer Rolle lässt sich expressive Performancekunst auf die Spitze treiben, da kann man zeigen, was man auf der Schauspielschule gelernt hat, ohne den Zwang zum ständigen Neben-der-Rolle-Stehen des postdramatischen Theaters.

Eine lange Reihe von Großmimen spielte Richard so, als blutdürstigen Wüterich, der seine Mitspieler zu Statisten degradiert, die seiner Bösartigkeit zuzuarbeiten haben: Boy Gobert, Ulrich Wildgruber, zuletzt Lars Eidinger in einer eindrucksvollen, wenn auch auf Dauer ermüdenden Radikalperformance an der Berliner Schaubühne.

Jörg Pohl ist in Antú Romero Nunes’ Thalia-Inszenierung nun ein etwas anderer Richard. Dürr, klein, auf den ersten Blick ein wenig verschüchtert steht er da auf der Bühne, „Da ich den Liebhaber nicht spielen kann/hab’ ich beschlossen, jetzt die Drecksau aufzuführen“, stammelt er, aber eine echte Drecksau ist er nicht. Eher jemand, den man glaubt, vor dem Unbill des Alltags schützen zu müssen.

Böser Fehler! Pohls Richard ist sehr wohl gefährlich, aber es ist eine Gefährlichkeit, die man leicht unterschätzt. Sein schickes rosa Hemd hat seine Färbung durch das Blut von Richards Bruder Edward. Das darf man so wenig vergessen, wie es eine fatale Fehlinterpretation wäre, Richards Tattoo überm Schamhaaransatz als ironisches Zeichen misszuverstehen – fies grinst da ein Totenschädel, und das ist kein Hipster­accessoire, das ist eine Warnung.

Ein schöner Nebeneffekt dieser erfrischend unverbrauchten Richard-Interpretation ist, dass Pohl seine Mitspieler nicht konsequent an die Wand spielen kann. Praktisch das gesamte Ensemble bekommt so die Möglichkeit, zu glänzen: Lisa Hagmeister als düster orakelnde Königin Margaret, Mirco Kreibich als emotional unbewegter Handlanger Buckingham, selbst winzige Nebenrollen wie Thomas Niehaus’ und Paul Schröders burleskes Mörderduo sind mit Freude am Detail und großem Gespür für den klug gesetzten Effekt ausgeführt.

Was umso eindrucksvoller ist, weil Judith Heptings Kostüme den Schauspielern recht wenig Entfaltungsmöglichkeiten lassen: Streng geschminkt sind alle, gefangen in Kleidern, die mehr behindern als beschützen, keine echten Figuren, sondern Gruselclowns auf tödlicher Mission.

Was bei dieser atemberaubenden Schauspielerleistung ein wenig untergeht, ist, dass Nunes’ Regie auf weite Strecken wenig eigene Haltung zu Shakespeares Vorlage entwickelt. Die Bühne Florian Lösches, die einen mit wehenden Vorhängen überwältigt, die streng-höfische Musik Johannes Hofmanns sind die deutlichsten Hinweise darauf, dass das Pathos der viktorianischen Königsdramen hier ganz ungebrochen übernommen wird.

Im Grunde ist dieser „Richard“ konventionelles Theater

Was Nunes macht, ist keine kritische Dramenlektüre, die beispielsweise erkennen würde, dass Shakespeares Darstellung der historischen Figur Richard propagandistisch unterfüttert ist, es ist die Begeisterung eines Game-of-Thrones-Fans über die verhältnismäßig eindimensionale Charakterisierung eines absoluten Bösewichts. Ja, Nunes arbeitet mit Ironie, aber die Ironie bricht nichts, sie überspielt nur die Tatsache, dass hier recht vorlagengetreu eine Geschichte nacherzählt wird.

Im Grunde ist dieser „Richard III.“ zutiefst konventionelles Theater, das nicht nur mit den clownhaften Masken näher am schminkeverliebten Formalismus eines Robert Wilson gebaut ist, als man zunächst denken würde.

Vor drei Wochen schrieb der amerikanische Literaturhistoriker Stephen Greenblatt einen Essay für die „New York Times“, in dem er die gewalttätige Politik aus „Richard III.“ mit den US-Präsidentenwahlen kurzschloss, einen Essay, der im Thalia-Programmheft abgedruckt ist, für die Inszenierung aber über weite Strecken irrelevant bleibt. Nur kurz vor Schluss, kurz bevor der böse König sich so viele Feinde gemacht hat, dass er nur noch verlieren kann, bricht die Realität in die Performance ein. Da rutscht Richard plötzlich in den Pegida-Sound, wird er zum Demagogen, der gegen den „Abschaum aus dem Süden“ hetzt.

Aber der Ausflug in den Populismus rettet ihn auch nicht mehr: Richard ist endgültig zum Angstbeißer geworden, der sich einer Übermacht von Feinden gegenübersieht. Die ihn schlussendlich kollektiv meucheln – nicht sein Widersacher Richmond tötet ihn, nein, all seine Opfer haben sich gegen ihn verbündet und stürmen auf den Wehrlosen ein.

Was allerdings gut zum unpolitischen Ansatz von Nunes’ Inszenierung passt: Nicht nur Richard ist abgrundtief schlecht, er ist höchstens ein klein wenig skrupelloser als der Rest der Bagage. Blut an den Händen haben alle Beteiligten. Alle fies – eine echte Positionierung ist das nicht. Aber wenigstens sieht es atemberaubend gut aus.

Die nächsten Aufführungen: am 12.11., 15.00, 13. 11., 19.00, 8.12., 20.00, Thalia Theater, Karten unter T. 32 81 44 44