Hamburg. Christiane Karg und Mauro Peter mit einem Brahms-Liederabend in der Laeiszhalle

Johannes Brahms muss ein Mensch voller Widersprüche gewesen sein. Denn wer hätte gedacht, dass ein Mann, der in fortgeschrittenen Jahren so abweisend und zynisch war und sein eigenes Liebesleben routinemäßig im Bordell abwickelte, zum Themenkomplex Liebe und Verliebtheit noch so viel zu sagen gehabt hat. Sechs Hefte mit von Brahms bearbeiteten deutschen Volksliedern hatten Christiane Karg, Mauro Peter und ihr Begleiter Helmut Deutsch für ihren Liederabend am Montag im Kleinen Saal der Laeiszhalle im Gepäck.

Die Texte dieser Volksliedbearbeitungen sind strophisch und schlicht, nur die Musik hat Brahms nachveredelt. Doch jedes der 42 Lieder aus Brahms’ WoO 33, die Karg und Mauro im Hauptteil des Abends sangen, erzählte eine Geschichte.

Meistens war es dieselbe: Er will bei ihr wahlweise zum Fenster, zur Tür, zur Kammer, ins Bett hinein, sie gibt sich spröde, überrascht, erschrocken, erwartungsvoll oder entnervt.

Im Gang durch den Abend kam so ein Kompendium all dessen zusammen, was zwischen Flirtpartnern abgehen und schiefgehen kann. Das Spektrum reichte von starrem Entsetzen in „Es ging ein Maidlein zart“ bis zum Zotigen. An Liedzeilen wie „Och Mod’r, ich well en Ding han! Dingderlingdingding!“ hatte der ehemalige Kneipenpianist Brahms offenbar auch auf seine alten Tage noch seine Freude.

Sängerisch war der Abend ein Fest. Die Karg beherrscht die hohe Kunst, in viele Rollen zu schlüpfen, ohne je aus der Rolle der Kunstmusiksängerin zu fallen. Sie schauspielerte mit Stimme und Mimik, gab das naive Dummchen, die Verzweifelte, die derbe Magd – und blieb doch die souveräne Liedgestalterin. Bei Männern ist das Rollenrepertoire übersichtlicher, wobei dem Tenor Mauro Peter der Warmduscher eine Spur überzeugender gelang als der Draufgänger.

Der Vollbart ist zwar etwas kürzer, aber wer Helmut Deutsch am Klavier beobachtete, kam kaum umhin, sich den alten Brahms vorzustellen, wie er ohne sichtbare Regung, aber mit viel hörbarer Sensibilität das Tun der Turteltäubchen in Szene setzt. Die großen Momente des Pianisten kamen in den kurzen Vor-, Zwischen- und Nachspielen. Wie gut er die Kunst des Kommentars beherrscht, zeigte Deutsch, wenn er am Ende eines Duetts, das vor gespannter Vorlust förmlich zitterte, zwei lakonisch-trockene Schlussakkorde hintupfte.