Hamburg . Yann Tiersen gibt in der Laeiszhalle ein Solokonzert voller Magie

Yann Tiersen ist ein Phänomen. Der französische Multiin­strumentalist schafft es, allein mit seinen Klavier- und Violinminiaturen das Publikum in der ausverkauften Laeisz­halle in ein Stadium der Anbetung zu versetzen. Und das, obwohl die Zuschauer sich überwiegend aus einer jüngeren Generation rekrutieren, die nicht mit den Erlebnissen der Amélie Poulain in Montmartre aufgewachsen ist. Der Fluch des Filmhits „Die wunderbare Welt der Amélie“ von 2001 mit ihrer zuckrigen Romantik, zu dem Tiersen seinerzeit die sensationell erfolgreiche Musik schrieb, verfolgt den Komponisten bis heute. Seine Antwort ist ein immer weiterer Rückzug. Ein paar Funzeln und eine schummrige Laterne erhellen die dunkle Bühne. In Jeans, T-Shirt und mit Dreitagebart schlurft Tiersen herein, eher mit der Aura eines Klavierstimmers als eines Stars gesegnet, und stößt ein „Guten Abend“ durch die Zähne. Viel mehr Worte werden nicht fallen an diesem Abend. Der Musiker bedient ein Tonbandgerät, Meeresrauschen hebt an. Eine Frauenstimme rezitiert die bretonische Poetin Anjela Duval. Dann spielt er seine wenigen, exakt platzierten und höchst wirkungsvollen Akkorde auf dem Flügel. Sein aktuelles Album „Eusa“ ist ein bezauberndes Dokument seiner Innerlichkeit, voll mit impressionistischen Klangminiaturen, die ihn mehr denn je auf die Spur eines Claude Debussy oder auch eines Erik Satie bringen.

Tiersen balanciert zwischen Lieblichkeit und Melancholie

Es ist ein Konzeptalbum, dessen 18 teils ultrakurze Songs hier vollständig erklingen. Tiersens Qualitäten als Filmmusiker kommen zum Tragen, weil unweigerlich vor dem inneren Auge ein Film abläuft von nebliger Küste, umtosten Klippen und schreienden Möwen. Das Album hat Tiersen der unwirtlichen Île d’Ouessant vor der bretonischen Küste gewidmet, auf der er seit 13 Jahren lebt. Songs wie „Pern“ balancieren auf dem schmalen Grat von Lieblichkeit zu Melancholie – und, ja, auch Kitsch. Dazwischen mischen sich ein Walzer oder tirilierende Sechzehntel wie in „Porz Goret“. Rauere Stücke wie „Kereon“ lassen an eine heftige Brandung denken.

Die Stimmung im Saal bleibt das gesamte Konzert über so andächtig, das einige Huster schnell deprimiert das Weite suchen. Erst zu den Zugaben bewegt sich Tiersen, wandert zwischen Flügel, Violine und einer Art Spielzeugklavier hin und her. Darauf erlingt etwa „Prière no 2“ aus „La Valse des monstres“ (1995). Höhepunkt für die Anwesenden aber wird sein virtuoses Teufelsgeigerstück „Sur Le Fil“ aus dem Album „’C’était ici“ (2002), das er mit saftigem Schwung aufführt. Ganz am Ende dieses magischen Konzertes spielt er doch noch das unvermeidliche Lied: „La Dispute“ aus dem Amélie-Soundtrack, nüchtern arrangiert und kaum wiederzuerkennen.