Hamburg. Intendant Axel Schneider inszeniert das Stück „Place of Birth: Bergen-Belsen“. Die Tradition seines Hauses versteht er als Verantwortung
Jakob ist ein Mensch am falschen Ort. „DP“, gesprochen „Die-Pie“ für „Displaced Persons“, wurden Menschen wie er von den Alliierten genannt – damals, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Jakob wurde im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen geboren. Seine Eltern hatten den Holocaust überlebt. Fast 60.000 dieser „Displaced Persons“ fand die britische Armee, als sie das Lager am 15. April 1945 befreite, 12.000 von ihnen waren staatenlose Juden. Die Briten wussten nicht, wohin mit ihnen. Sie nach Polen oder Russland schicken? Nach Palästina? Ihnen Visa für die USA, Kanada, Australien geben? „Die Überlebenden als Problem, das klingt pervers, aber das war es leider auch. 1945 begann die Realpolitik der Alliierten“, sagt Axel Schneider, Intendant der Hamburger Kammerspiele.
„Place of Birth: Bergen-Belsen“ heißt nun ein Stück, das Schneider an den Kammerspielen gemeinsam mit dem Schauspieler Peter Bause erarbeitet und das dort morgen seine Uraufführung erleben wird. Schneiders Stückfassung basiert auf Recherchematerial des Autors und Theaterregisseurs Peter Schanz. Zu den Dokumenten, die Schneider verwendet, gehören eine Reihe von Interviews, die in den 50er-Jahren mit Deutschen aus dem Kreis Celle in der Nähe des Konzentrationslagers gemacht worden sind. Jahrelang hat sich dort Adolf Eichmann versteckt, der SS-Offizier, der mitverantwortlich für die Ermordung von sechs Millionen Juden war. Auch mit ihm gibt es immer Szenen in „Place of Birth: Bergen-Belsen“. Die einzige fiktive Person im Stück ist Jakob. „Sein Lebenslauf ist hypothetisch, aber es hat etwa 1000 Menschen gegeben, die im Lager Bergen-Belsen geboren wurden, es wurde erst 1951 aufgelöst“, erklärt Schneider.
Zum dritten Mal arbeiten Axel Schneider und Peter Bause bei einem Ein-Personen-Stück zusammen, das thematisch mit dem Nationalsozialismus zu tun hat. Vor dem dokumentarischen Bergen-Belsen-Stück hatte das Duo Ödön von Horvaths Roman „Jugend ohne Gott“ und das Stück „Die Judenbank“ auf die Bühne gebracht. „Die Schwierigkeit ist es, dokumentarische Figuren zum Leben zu erwecken“, sagt Bause. Schwer zu lernen falle ihm vor allem Eichmanns verquaste Sprache: „Diese Texte sind bis heute erschreckend aufgrund der Selbstverständlichkeit, mit der dieser Massenmörder seine Taten rechtfertigt.“
Die Zusammenarbeit mit dem 74 Jahre alten Schauspieler beschreibt Schneider als eine „Reise“, die Textfassung mache bereits 50 Prozent seiner Regiearbeit aus. „Meine Aufgabe ist es, das Stück für dieses Ein-Mann-Ensemble spielbar zu machen, Peter Bause muss es letztlich schultern.“
Obwohl „Place of Birth: Bergen-Belsen“ kurz nach dem Zweiten Weltkrieg spielt, besitzt das Stück große Aktualität. Parallelen zur aktuellen Flüchtlingsdebatte und den Hetztiraden rechter Populisten werden überdeutlich. Ein befragter Mann beschwert sich, dass sein „friedliches Dorf“ von „Unholden“ heimgesucht worden sei, und beklagt die „unheilvolle Entnazifizierung“. „Die Texte sind so erschreckend, weil sie von ,normalen‘ Menschen gesagt werden“, so Schneider. Mit dem Stück geht er ein finanzielles Wagnis ein, das Thema ist alles andere als unterhaltsam.
„Die Kammerspiele haben eine besondere Verantwortung und eine Tradition, diese Themen zu besetzen.“ Sein Theater war bis 1941 das Zentrum der jüdischen Gemeinde in Hamburg. Nach dem Krieg eröffnete Ida Ehre das Theater wieder. Die jüdische Schauspielerin und Regisseurin hatte die Haft im KZ Fuhlsbüttel überlebt. Die Kammerspiele sind der passende Ort für „Place of Birth: Bergen-Belsen“.
Uraufführung Mi 28.9., 20 Uhr, Kammerspiele, Hartungstr. 9–11, Karten ab 22,-; Weitere Termine: www.hamburger-kammerspiele.de