Hamburg. Der Roman „Meine geniale Freundin“ erscheint auf Deutsch – seine Schöpferin schreibt unter Pseudonym.

Der Hype, also Aufregung und Aufbauschung im Dienste der Aufmerksamkeitsgewinnung, ist eine praktische Angelegenheit. Wenn er groß genug ist, der Hype, dann kann man nämlich nicht nur über das jeweilige Objekt nachdenken, das er emporheben will. Man kann sich auch mit dem Hype selbst beschäftigen.

Wie jetzt im Falle von Elena Ferrante, der Autorin, die seit einiger Zeit eine Weltkarriere macht und bei ihrem Siegeszug nun auf begeisterungswillige und begeisterte deutsche Leserinnen und Leser trifft. Kein Buchhändler, der den Literaturimport aus Italien derzeit nicht auf der Rechnung hätte, kein Anhänger mehrbändiger Sagas, der sich von ihm nicht angezogen fühlen dürfte. Zwei Wochen nach Erscheinen steht der Roman „Meine geniale Freundin“ schon auf Platz eins der Bestsellerliste.

Man spricht über ihn, und wie imposant das Echo seit Jahren ist, mag die ausufernde Reihung der Rezensionsauszüge illustrieren, die der Suhrkamp-Verlag zusammengestellt hat – Zitate aus „New York Times“, „The Guardian“, „El Pais“, „Le Figaro“. Und aus „La Vanguardia“ – die spanische Zeitung schreibt über Elena Ferrantes Roman folgenden gnadenlos übertriebenen und wunderbar selbstbewussten Satz „Mit völliger Sicherheit das größte Werk der europäischen Literatur der letzten Jahrzehnte.“

Da bläst man dann erst einmal die Backen auf. Gut gebrüllt! Was hat es also mit dem Phänomen Ferrante auf sich? Da ist zum einen das neapolitanische Epos in vier Bänden, von dem „Meine geniale Freundin“ der erste ist. Im italienischen Original sind bereits alle Teile erschienen, der erste datiert von 2011. Das Epos ist ein mit Freude an der konventionellen Form und der unterhaltsamen Schilderung gesellschaftlicher Zustände geschriebenes Porträt einer Frauen-Freundschaft.

In Band eins sind Lila und Elena Teenager, sie verlieben sich und entwachsen dem Elternhaus (oder nicht), gehen zur Schule oder arbeiten in der väterlichen Schusterei. Sie mögen und enttäuschen einander, verbünden sich, rivalisieren aber auch. Das alles geschieht in einem neapolitanischen Arbeiterviertel der 60er-Jahre, einem Ort der Vormoderne, den Ferrante plastisch zeichnet, das Gleiche gilt für die Charaktere. Deren Zahl ist so groß, dass man leicht den Überblick verliert.

Gleichzeitig ist auch die Kunst groß, Seifenoper-Elemente mit tiefen Einsichten zu verknüpfen. „Meine geniale Freundin“ ist Bildungsroman und historischer Roman, ein umstandslos und an keinen formalen Fragen interessiertes Werk, das ganz logisch Massenappeal hat. Das Buch unterhält glänzend, ohne je banal zu sein. Sein Erfolg ist erklärbarer als derjenige von Karl Ove Knausgård, mit dem Ferrante irritierenderweise verglichen wird. Sicher, auch der Norweger wird weltweit gelesen. Alles andere aber ist anders, was nicht nur an Knausgårds spezieller Ego-Schau liegt, die genauso gut niemanden hätte interessieren können. Anders als Knausgård, der sich oft fotografieren lässt, gibt es von Ferrante übrigens kein Bild.

Es gibt auch gar keine Elena Ferrante, der Name ist ein Pseudonym. Seit 1992 veröffentlicht unter ihm eine immer noch unbekannte Person, mutmaßlich eine Autorin, in Italien seit jeher erfolgreiche Romane. Auch auf Deutsch sind einige erschienen. Zum unbekannten Weltstar der Literatur wurde Ferrante erst mit ihrer Neapel-Saga. Deren Teile zwei bis vier sollen innerhalb des nächsten Jahres erscheinen. Sie sind, wie „Meine geniale Freundin“, im Ton der großen realistischen Romane à la Dickens verfasst.