Hamburg. Das Konzert der Sopranistin in der Laeiszhalle mit ihrem Mann, dem Tenor Yusif Eyvazov, war vor allem eine One-Woman-Show.

Die Frage stellt sich zwar nicht, aber dennoch: Möchte man als Tenor mit der Über-Sopranistin Anna Netrebko verheiratet sein, so wie sie jetzt singen kann, derart überragend, wie sie jetzt ist? Mit ausgerechnet dieser Sängerin verheiratet sein, die die Leichtigkeit und die Intensität ihres Vortrags so geschickt dosieren und forcieren kann, dass man im musikalischen Wettkampf um die Publikumsgunst immer nur als sympathischer, aber letztlich doch bedauernswerter Zweiter über die Zielgerade kommen darf? Mit einer Charakter-Darstellerin im Rampenlicht stehen – und bestehen – sollen, die schon komplett in ihrer Rolle aufgegangen ist, wenn andere Kolleginnen sich noch in die tragische Heldin verwandeln müssen? Keine ganz einfache Frage, weil man als Tenor mit klassischem Rollenverständnis anderes gewohnt sein möchte. Und erst recht, wenn man, wie Netrebkos Gatte Yusif Eyvazov, bei Weitem nicht über das nuancierte Farbensortiment verfügt, dass es bräuchte, um neben ihr mithalten zu können.

Reife und Erfahrung, Charakter und Charisma

Eyvazov singt offenkundig lieber laut als interessant, und noch lieber singt er sehr laut; solide vor allem, auf anständig hohem Niveau. Ein Steher alter Schule, aber kein Phänomen, keine unverwechselbare Jahrhundert-Stimme, die sich süß und sinnlich und schutzlos ins Herz bohrt, um es zu brechen, eher schon frontal durchs Trommelfell. Ein Kerl von Tenor, der mit nahezu jeder Phrase betont, dass Stimmbänder für ihn im Grunde genommen Muskeln sind. Kein Charismatiker, von dem man um Himmels willen keine Note verpassen möchte. Dass seine Frau ihn so sehr in ihr Rampenlicht lässt? Das muss Liebe sein.

Vor einigen Jahren erst, und doch, als wäre es in einem anderen Sängerinnenleben gewesen, hatte die Russin bei einem Laeiszhallen-Konzert mit dem kleiderschrankgroßen Gentleman-Bariton Bryn Terfel eine ganz andere Anna Netrebko gegeben, verspielt, fast noch harmlos. Im Laufe der letzten Jahre ­jedoch hat Netrebkos Stimme sich in alle Richtungen entwickelt, in eine warme, volle Tiefe, in eine blendend helle, funkelnde Höhe, bombensicher. Reife und Erfahrung, Charakter und Charisma, das ist nun in ihr zu hören.

Sie ist in der Form ihres Lebens

Vor einigen Wochen erst hatte sie den Salzburger Festspielen, den Gatten für alle in der Branche sichtbar an ihrer Seite positioniert, mit einer konzertanten Aufführung von Puccinis „Manon ­Lescaut“ zu gefeierten Sternstunden verholfen, genau dort, wo sie zuvor mit ihrem Jetzt-Ex, dem Bariton Erwin Schrott, ähnlich bejubelt worden war. Das Konzert am Sonntag in der Laeisz­halle, einer von lediglich zwei Abenden in Deutschland, war also eine Mischung aus Epilog zum Salzburger Triumph und Werbeveranstaltung für die in wenigen Tagen erscheinende CD mit Arien und Duetten des Verismo (ebenfalls mit dem Gatten). Ein aus ihrer Sicht kluger nächster Karriereschritt. Sie ist jetzt soweit. Sie ist jetzt in der Form ihres ­Lebens. Sie singt, und der Gatte singt mit. Die Rollen sind klar verteilt. Und gerade die tränennassen Opern des ­Verismo, in denen so gern so großzügig überzogen wird mit dem Lieben und Leiden in Nahaufnahme, sie passen bestens zur Eindringlichkeit und Erzählkraft dieser Stimme. Vier Beispiele nur: In Cileas „Ecco ... respiro appena ...“ holte Netrebko – so viel Spannung darf sein – zunächst nur die Samt-Trompete ­heraus, mit der sie allerschönste Melodielinien über die Orchesterbegleitung fliegen ließ. In Giordanos „La mamma morta“ lotete sie in wenigen Momenten aus, was diese Arie an tragischem Potenzial bieten kann.

„Turandot“, „In questa reggia“: Die Puccini-Prinzessin singt, sie erklärt dem Rest ihrer Welt ihre Rätsel und ihre Spielregeln; sie macht klar, dass oben nur ist, wo sie ist. Netrebko stellte diese Arie mit majestätischer Überzeugungswucht in den Saal, wie eine Regierungserklärung. Die Bühne, die Geschichte drumherum sah man nicht, doch man hörte sie. In diesen Minuten war sie da.

„La Wally“, „Ebben? Ne andrò lontana“. Mit der Callas ist Gänsehaut garantiert, bei der Netrebko ist es eher Empathie, Mitleid, Mitleiden. Kann man so mögen, muss man bewundern.

Am Orchester wurde gespart

Wie fast nicht anders zu erwarten bei solchen Gala-Abenden mit Hochglanz-Programmheften, Abendgarderobenwechseln und viel Bling-Bling an der Hauptperson: Am ­Orchester wurde ­gespart. Das Tschechische Nationale Symphonieorchester rumpelte sich als Zuspieltruppe durchs Programm. Besonders unschön fiel die Regionalliga-Klasse in der „Nabucco“-Ouvertüre auf, bei der Dirigent Jader Bignamini so ziemlich alles vermissen ließ, was daran durchaus schön sein kann.

Am Ende des umjubelten Abends, die drei Zugaben waren gesungen und die Notenreserven aufgebraucht, da war klar, wer hier, auf dieser Bühne das Maß aller stimmlichen Dinge definierte. Nur eine. Eyvazovs Kondition war da schon hörbar mitgenommen, bei seinem „Nessun dorma“ war er glatt gut einen Takt zu früh ins Tutti eingebogen.

Seine Frau hingegen wirkte im Schlussapplaus so ungestresst und amüsiert von den Umständen, als würde sie noch halbwegs ewig so weitersingen wollen. Weitersingen können. Bewundernswert, bejubelt. Unschlagbar, in diesem Moment, uneinholbar. War schon was?, fragte ihr Siegerinnen-Blick in den Saal zu ihren Füßen, ist etwa schon Schluss? Eine Diva ­assoluta stand dort, ganz ohne Wenns und Abers. Und genau deswegen wurde danach auch nicht mehr gesungen. Diven verschleudern sich nicht. Ein Ereignis.

CD: Anna Netrebko „Verismo“ (DG, ca. 18 Euro, erscheint am 2.9.)