Hamburg. „Glory“ heißt das neue Album der US-Popsängerin Britney Spears. Ob sie damit an alte Erfolge anknüpft, ist fraglich.

Es gibt diese Momente bei Facebook, wo plötzlich eine längst vergessene Dateileiche aus der Freundesliste auf dem Bildschirm aufploppt. Ah, die aus der Oberstufe hat geheiratet. Sieh an, jemand aus der Parallelklasse ist auf Bali. Ein Blick, kein Click, und dann verschwinden sie wieder für Jahre aus dem Gedächtnis. Noch so ein Moment: Oh, Britney Spears hat ein neues Album veröffentlicht. „Glory“. Aha. So, so.

Sicher, die meisten kennen ihren Namen und ihren Status als eine der erfolgreichsten US-Popsängerinnen der vergangenen 20 Jahre. Nur hören will sie hierzulande offensichtlich kaum noch jemand. Ihr Debütalbum „Baby One More Time“ wurde 1999 rund um den Erdball über 31 Millionen Mal aus den Regalen gerissen. Beim Album „Britney Jean“ hingegen griffen vor drei Jahren in Deutschland gerade noch 20.000 Interessierte zu. Das ist selbst im Streaming-Zeitalter desaströs für einen Weltstar. Mal frei drauflos gerechnet dürften maximal 400 Hamburger „Britney Jean“ gehört haben. Das reicht für ein ausverkauftes Knust oder Logo. Bei ihrem letzten Hamburg-Besuch vor zwölf Jahren kamen 9000 in die damalige Color Line Arena.

Der Einsatz von Vocodernund Effekten ist brutal

Am Hungertuch nagt sie trotzdem nicht. Schließlich musste sie die Kon­trolle über ihre Finanzen nach Jahren der Skandale, Ausfälle, Sorgerechtsprozesse und anschließender Entmündigung an ihren Vater abgeben. 31 Millionen Dollar soll sie 2015 verdient haben. Ihre Konzert-Residenz im Planet Hollywood Resort And Casino Las Vegas mit der Show „Britney: Piece Of Me“ ist ein von viel Kritiker-Lob begleiteter, seit 2013 mehrfach verlängerter Erfolg. Es ist allerdings auch eine Play-back-Show.

Das mit dem Singen ist auch auf „Glory“ wieder so eine Sache. Der Einsatz von Auto-Tune, Vocodern, Pitchern und weiteren Effekten ist geradezu brutal. Zu gern möchte man an die originalen Aufnahmen gelangen. Oder lieber doch nicht. In „Love Me Down“ singt Britney stark verzerrt, in „Invitation“ oder „Just Luv Me“ flüstert sie kaum wiedererkennbar und in „Private Show“ quakt sie wie ein Schlumpf auf Helium. Für Abwechslung ist also bei den – je nach Edition – zwölf bis 17 neuen Liedern gesorgt, dafür stehen auch knapp 30 Songschreiber und 14 Produzenten, die zwei Jahre lang an „Glory“ feilten, schraubten, tüftelten und bastelten.

Eine bunte Tüte, komplett gefüllt mit allem, einmal das Regal abfahren und mit dem Arm Ware wahllos in den Wagen räumen. Man steht vor „Glory“ wie ein Kind am Naschi-Kiosk im Freibad, hibbelig und unentschlossen, was es denn nehmen soll, während hinter ihm Muskelpakete mit Pommeshunger gallig werden. Na gut, nehmen wir einen davon: Der Eröffnungssong „Invitation“ ist eine nette Einladung zum Anhören, akustisch ästhetischer Downtempo-Pop, der an Santigold erinnert. Und einen davon: Das mehrdeutige „Do You Wanna Come Over“ ist derart treibend und clubtauglich, dass man es sich glatt bei der nächsten Party vom DJ wünschen würde. Würde. Denn mit Britney-Spears-Wünschen erntet man in guten Clubs abseits von Tabledance-Bumsbuden mindestens Ignoranz, wenn nicht Hausverbot.

„Do You Wanna Come Over“ lohnt aber das Risiko. Und noch einen davon: „Hard To Forget Ya“ hat eine schwer zu vergessenen Refrain und geht auch wieder gut in die Beine. Dann nahmen wir noch von den Bonustracks „Cou­pure Électrique“, weil Britney und Texte auf Französisch zusammen irgendwie exotisch wirken. Schwierig, mehr zu diesem Lied zu schreiben, ohne ins Anzügliche abzugleiten.

Der Rest von „Glory“ pendelt zwischen netten R’n’B-Balladen wie „Make Me ...“ , dem nicht mal plumpen Synthiebrett „Clumsy“, dem Totalausfall „Private Show“ und Füllmaterial, das so dekorativ ist wie Fensterkitt, aber das Album irgendwie zusammenhält.

Keine schlechte Platte, aber wohl auch keine, die sie wieder auf Augenhöhe mit den aktuellen Pop-Königinnen Taylor Swift, Katy Perry oder Beyoncé bringen dürfte. Und die plakativen Schlüpfrigkeiten, die nach wie vor die Texte durchziehen, wirken auch aufgesetzt bei einer 34-Jährigen, die im Prinzip auf Schritt und Tritt von besseren Kindermädchen überwacht wird, um nicht zu eskalieren.

Natürlich blättern wir trotz Streaming-Zeitalter auch im CD-Heftchen. Erwartungsgemäß hat Britney Spears auf der Hälfte der Bilder wenig an, die Retusche sorgt für Weichzeichner, Blendenflecke und den Gesamteindruck ausgeblichener Fotos aus dem heimischen 90er-Jahre-Printer. Zu gern möchte man an die originalen Aufnahmen gelangen. Oder lieber doch nicht.

Infos: www.britneyspears.com