Berlin/Hamburg. Ein Gespräch mit der Hip-Hop-Legende Beginner über das Comeback-Album, über Kater, Lokalstolz und Rapperinnen

Mit ihrem zweiten Album „Bambule“ schuf das Hamburger Trio Beginner 1998 einen Meilenstein der deutschen Hip-Hop-Geschichte. Der Nachfolger „Blast Action Heroes“ (2003) hingegen zählt als letztes kreatives Ausrufezeichen der damaligen Rap-Szene. Auf dem Höhepunkt des Erfolges lösten sich die Beginner auf und starteten Solo-Karrieren. Doch nun, wo Deutschrap so angesagt – und umstritten – ist wie nie, melden sich Eizi Eiz (Jan Eißfeldt), Denyo (Dennis Lisk) und DJ Mad (Guido Weiß) zum 25. Bandjubiläum mit dem Album „Advanced Chemistry“ zurück. Der Albumtitel ist eine Verbeugung vor den gleichnamigen Heidelberger Hip-Hop-Pionieren der späten 80er, und auch das neue Beginner-Album schaut akustisch und lyrisch gern zurück. Wir treffen die Beginner in Denyos Wahlheimat Berlin auf einer sonnigen Dachterrasse. Sie wirken entspannt, denn sie wissen, dass ihnen Platz eins der Charts sicher ist. Die Konzerte am 3. und 5. Dezember in der Sporthalle sind längst ausverkauft. Alles ist bereit.

Ihr habt sechs Jahre an „Advanced Chemistry“ gebastelt. Warum hat es so lange von der Ankündigung bis zur Fertigstellung gebraucht?

Eizi Eiz: Weil wir Perfektionisten sind, wenn es um die Musik geht.
Denyo:
Wir wären ja gern schon 2013 mit dem Ding gekommen. Aber wir sind an unseren Ansprüchen gescheitert und hatten statt der erwarteten zwölf Songs nur vier, die wir geil fanden. Wir mussten sehr viel üben, trainieren, feilen, verwerfen.

Eizi hat seit dem letzten Beginner-Album 2003 als Jan Delay drei erfolgreiche Soloalben veröffentlicht. Für Denyo und Mad ist dies jetzt nach 13 Jahren ein Wiedereinstieg auf sehr hohem Niveau. Macht das nervös?

Denyo: Nein, ich bin dankbar dafür, das haben wir uns durch jahrelange harte Arbeit auch verdient. Und ich habe ja auch Platten gemacht und hundert Shows im Jahr durchgezogen. Auf kleineren Bühnen als bei einem Popstar wie Jan, aber ich musste mich genauso beweisen.

Trotzdem wird sich doch einiges verändert haben. DJ Mad hat ja einen guten Überblick vom Plattenspieler-Pult …

DJ Mad: Wenn ich mal eine Sekunde hochgucke, ja.

Abendblatt: … wie hat sich das Publikum verändert im Vergleich zu früher?

DJ Mad: Das sehe ich erst nach der Show in den Videos, weil ich während des Auftritts versuche, bloß keinen Fehler zu machen. Aber man merkt schon, dass die Leute heute eine andere Art zu feiern haben. In den 90er-Jahren war es Usus, dass der ganze Laden 90 Minuten gesprungen ist, ja mit den Füßen mehr in der Luft war als auf dem Boden. Das Publikum heute hat zwar den gleichen Spaß, aber nicht gelernt, richtig zu eskalieren.

Eizi Eiz: Man hebt entspannt die Hände im Takt, aber verliert nicht den Boden unter den Füßen.

DJ Mad: Das ist wie früher, wenn wir in die Schweiz gefahren sind. Da kam der Veranstalter nach der Show und jubelte: „Mann, die sind abgegangen wie Sau“, und wir dachten: aha, interessant.

„Wir packen Hamburg wieder auf die Karte“, heißt es in „Ahnma“. Warum ist Lokalpatriotismus im Hip-Hop so ausgeprägt im Vergleich mit anderen Genres?

Eizi Eiz: Weil es im Hip-Hop um die Sprache geht und um die eigene Identität, mit der man aus der grauen Masse herausstechen will. Man flasht auf Sprache, Dialekt, man spielt damit. Das ist so, wie wir labern, leben, wo wir herkommen. Das sind wir.

Aber ihr seid jetzt alle um die 40, habt Familie, Liebe, Kinder in Berlin, in München. Ihr seid weit gereist. Ist die Aussage „Hamburg ist der Ort“ da nur Folklore?

Denyo: Nee! Das ist Dankbarkeit und Wertschätzung für das, wo man herkommt und warum man so ist, wie man ist. Für die Menschen, die einen über all die Jahre am meisten unterstützt haben.
Eizi Eiz: Zu „Bambule“-Zeiten in den späten 90er-Jahren war es sogar viel einfacher, zu sagen, dass man aus Hamburg kommt. Hamburg dies, Hamburg das, Hamburg hey! Ein Selbstgänger. Hamburg war steil damals. Heute gehören viel mehr Eier dazu zu sagen, dass Hamburg geil ist, als 1998. Und wir sind viel älter und reflektierter als damals, und wenn wir trotzdem noch sagen, wir kommen aus Hamburg, und Hamburg ist derbe am Start, zeigt das sehr gut, wie sehr wir dahinterstehen.

„So schön“ ist im Vergleich zum alten Beginner-Hit „Liebes Lied“ tatsächlich ein Liebeslied. Für die Frauen im Molotow-Cocktailkleid, für Mamis mit Schreihals in der Babykarre, für Mamis mit dreihalsiger E-Gitarre. Normalerweise gehen viele Rapper lyrisch weniger blumig mit Frauen um.

Eizi Eiz: Im Deutschrap, aber vor allem im Ami-Rap, wird ein Frauenbild vermittelt, mit dem wir uns absolut nicht identifizieren können. Es ist komplett respektlos und würdelos, und ich schäme mich in diesen Momenten, Teil dieser Kultur zu sein. Aber wir halten nicht den Zeigefinger hoch, wir sagen einfach nur, wie wir Frauen verstehen: als schönste Wesen der Welt.

DJ Mad: Es gibt im Hip-Hop leider deutlich mehr negative Darstellungen von Frauen als positive. Das wollten wir so nicht stehen lassen.

Aber: Features, sprich Gäste auf „Advanced­ Chemistry“, sind Gentleman, Gzuz, Samy Deluxe, Megaloh, Haftbefehl und Dendemann. Dabei gibt es auch klasse Rapperinnen wie Sookee, Haiyti, Pilz ...

Eizi Eiz: Wir machen ja keine Features, um Quoten zu bedienen, sondern weil wir Fan von unseren Gästen sind. Ich finde es hervorragend, dass viel mehr Frauen rappen als früher, aber noch ist keine dabei, die uns derart flasht, dass wir uns als Fan bezeichnen würden. Das braucht noch, aber es wird nicht mehr lange dauern, ganz sicher.

Denyo: Dafür sind wir zu ehrlich. Das, was wir lieben, wovon wir Fan sind, das kommt auf die Platte. Die aktuellen Rapperinnen haben tolle Momente, und wenn sich daraus eine wirklich krasse Künstlerin entwickelt, dann ist auch die Frage nach Mann oder Frau völlig egal. Dann sind wir Fan, dann muss sie auf die Platte.

DJ Mad: Ich würde das Geschlecht da völlig rausnehmen. Es ist egal, was du in der Hose rumschleppst, wenn du es draufhast. Ich wäre der Letzte, der jemanden nicht an die Plattenspieler oder an das Mikro lässt, weil es eine Frau ist.

Eizi Eiz: Wenn wir jetzt hier sitzen würden, und es wäre 1993, dann wäre Cora E. auf der Platte. Wir waren ihr absolut verfallen, sie hat besser gerappt als jeder Typ! Sie hatte einen irren Flow, sie hatte geile Zeilen, sie war die Derbste. Oder Nena! Wie sie „Fantasie“ von Samy Deluxe rappt, unfassbar! Ich bin gespannt auf die Platte von den beiden.

Die Party-Abrissbirne „Rambo No. 5“ und der Track „Kater“ folgen sicher
bewusst hintereinander auf dem Album.

Eizi Eiz: Man muss sich ein wenig Unvernunft beibehalten, und das bewusst. Aber gerade als Vater kann man sich den Kater von früher nicht mehr leisten. Damals hat man es zelebriert: Heute gehe ich saufen, morgen habe ich Kater, und ihr könnt mich mal. Das geht heute nicht mehr. Kinder nehmen da keine Rücksicht drauf.

Um kritische Statements herauszufiltern, muss man zwischen den Zeilen gut zuhören: „Monsanto ist das Böse, Monsanto ist der Feind“ oder „auffälliger Mensch, abfälliger Blick, sie sagen abschotten, wir sagen abholen.“ Ihr seid offensichtlich weiterhin keine Band für plakative Parolen, oder?

Eizi Eiz: Früher, vor dem „Bambule“-Album, haben wir ohne Punkt und Komma, ohne geile Reime Missstände angeprangert. Das kann man sich heute nicht mehr anhören. Und wenn uns so was nicht interessiert, dann interessiert es auch sonst niemanden. Seitdem lassen wir unsere Haltung einfließen, indem wir etwas über uns erzählen. Damit erreichst du die Leute deutlich besser. Und dabei bleiben wir auch.

John Lennon hat „Imagine“ ja bewusst schlicht statt aggressiv komponiert, um möglichst viele Hörer zu erreichen.

Eizi Eiz: Und darum wird dieses Lied auch für immer da sein, egal in wie vielen Mercedes-Werbespots es benutzt wird.
DJ Mad: Denkt mal an „Ein bisschen Frieden“ von Nicole. Der Song ist auch super.

Eizi Eiz: Der ist sogar aufwendiger als „Imagine“. „Imagine“ kann jedes sechsjährige Mädchen auf dem Klavier spielen. Sogar ich, wenn man mir etwas Zeit gibt.

Extrem aufwendig sind die Videos zu „Ahnma“ und „Es war einmal“. Eigentlich dachte ich, die Zeit ambitionierter Clips wäre durch die Bedeutungslosigkeit von MTV und Co. vorbei.

Eizi Eiz: Das ist doch geil! Wenn das kein anderer mehr macht, fällt es um so mehr auf. Die späten 90er, was waren das für Zeiten mit diesen unglaublichen Videos!

DJ Mad: Björk, die Irre. Aphex Twin. Marilyn Manson. Das sind Kunstwerke, die für immer bestehen. Ich hab Videos als Gebrauchsanweisung für Musik, Mode und Tanz gesehen und sie wieder und wieder geschaut, selbst wenn ich die Musik nicht mochte.
Eizi Eiz: Bands wie die Beastie Boys haben immer tolle Videos gemacht, und diese Fahne halten wir hoch. Das ist genau so wichtig wie eine gute Liveshow.
Denyo: Und es ist ja auch ohne MTV und Viva so, dass Musikvideos einen unglaublich hohen Stellenwert haben, besonders in den sozialen Netzwerken. Es gibt Songs wie Sand am Meer, und durch Videos ragt man aus der Masse heraus. Mit dem Glück des Tüchtigen, sonst würden wir nicht hier sitzen und uns über 17 Millionen Clicks unterhalten.