Vor 75 Jahren wurde ein Berufsverbot gegen den Maler verhängt. Aber warum, da er doch selber Nazi und Judenfeind war?
Als der Maler Emil Nolde am 23. August 1941 das Einschreiben aus Berlin öffnete, war er noch voller Hoffnung, dass seine Kunst nun endlich von den Machthabern anerkannt werden würde. Schließlich sah er sich doch selbst als Nationalsozialisten, hatte Hitlers „Machtergreifung“ freudig begrüßt und sich immer wieder im Sinne der braunen Ideologie geäußert. Dass er Antisemit war, wusste man in der Kunstszene schon seit seiner Auseinandersetzung mit Max Liebermann kurz nach der Jahrhundertwende, auch in seiner 1934 erschienenen Autobiografie „Jahre der Kämpfe“ finden sich judenfeindliche Ressentiments. Schon seit 1934 gehörte er der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig an.
Voller Erwartung öffnete der Maler nun den Brief der Reichskammer der bildenden Künste, von der er sich die längst überfällige Anerkennung und Würdigung erhoffte. Doch was er dann las, machte ihn sprachlos. Wie konnte man ihn in Berlin nur so verkennen? In dürrem Amtsdeutsch teilte ihm die Kammer, die von dem berüchtigten Kulturfunktionär und Nazi-Maler Adolf Ziegler geleitet wurde, mit, dass er wegen mangelnder Zuverlässigkeit ausgeschlossen sei. Das bedeutete zugleich ein Berufsverbot, denn fortan war ihm „jede berufliche Tätigkeit auf dem Gebiet der bildenden Künste untersagt“.
Emil Nolde, der eigentlich Hans Emil Hansen hieß, stammte aus dem in der Nähe von Tondern im deutsch-dänischen Grenzland gelegenen Dorf Nolde, das ihm den Künstlernamen lieferte. Nach einer Lehre in Flensburg ging er nach München und Paris und wurde Mitglied der expressionistischen Künstlergemeinschaft „Brücke“. In Hamburg hat er nie dauerhaft gelebt, doch war die Hansestadt für den Norddeutschen die am nächsten gelegene Metropole. In der Hamburger Kunstszene war er bald aufgenommen und gefördert worden. Mit hiesigen Sammlern, Galeristen, Publizisten und Museumsleuten unterhielt er vielfältige Kontakte, nur im Verhältnis zu Kunsthallen-Chef Alfred Lichtwark gab es atmosphärische Störungen. Erst dessen Nachfolger Gustav Pauli erwarb bis 1930 von Nolde mehrere Gemälde und etwa 60 Arbeiten auf Papier.
Selbst Goebbels hatte Bilder von Nolde in seiner Wohnung
Zu Noldes Hamburger Förderern gehörte auch der Jurist Gustav Schiefler, der zu den einflussreichsten Persönlichkeiten der Kunstszene zählte und dem das Kunststück gelang, sowohl mit Liebermann als auch mit Nolde eng und freundschaftlich zusammenzuarbeiten. Auch die enorm einflussreiche Hamburger Kunsthistorikerin Rosa Schapire setzte sich für den noch jungen Künstler ein, was er ihr jedoch kaum dankte. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft brach er 1910 jeden Kontakt zu Schapire ab. Jahrzehnte später schrieb er im Hinblick auf sie in seinen Erinnerungen: „Juden haben viel Intelligenz und Geistigkeit, doch wenig Seele und wenig Schöpfergabe.“
Noldes Ressentiments, sein Antisemitismus und seine völkische Gesinnung waren offenbar so tief verwurzelt, dass ihn nicht einmal die eigene negative Erfahrung mit dem Dritten Reich nachdenklich stimmte. Insgesamt 1052 seiner Werke hatten die Nazis aus deutschen Museen entfernt, 48 in der üblen Propaganda-Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 gewissermaßen an den Pranger gestellt. Trotzdem hoffte er noch bis 1941, dass die Nazis seine Spielart des Expressionismus als „nordische Staatskunst“ anerkennen würden. Indizien dafür hatte es durchaus gegeben, zumal Nazi-Größen wie Reichsjugendführer Baldur von Schirach Noldes Bilder schätzten. Selbst Goebbels hatte Bilder von ihm in seiner Privatwohnung hängen, die er aber – als Hitler und sein Chefideologe Alfred Rosenberg ihr Missfallen darüber geäußert hatten – schnell wieder entfernen ließ.
Mit dem Ausschluss aus der Reichskammer der bildenden Künste vor 75 Jahren hatten sich Noldes Hoffnungen auf einer Karriere im Dritten Reich endgültig zerschlagen. Enttäuscht zog er sich in sein einsam gelegenes Haus in Seebüll zurück, wo er bis Kriegsende mehr als 1300 kleinformatige Aquarelle schuf, seine „Ungemalten Bilder“.
Erst spät wurde die Rolle des Malers kritisch hinterfragt
Im Rückblick erwies sich die schroffe Ablehnung durch die Nazis für Nolde als Glücksfall, denn dadurch konnte er sich nach 1945 als Opfer des Regimes stilisieren. Aus seinen Schriften wurden antisemitische und andere anstößige Passagen getilgt, sodass der verhinderte NS-Staatskünstler nun allgemein als Verfolgter des Hitler-Regimes galt. Zu diesem Image trug erheblich der 1968 erschienene Roman „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz bei, in dessen positivem Protagonisten Max Ludwig Nansen sich unschwer der Maler Emil Nolde erkennen lässt. Dass Lenz den Vornamen Max ausgerechnet bei dem Malerkollegen Pechstein entlieh, ist nicht ohne Pikanterie, weil Nolde diesen bei Propagandaminister Goebbels – übrigens fälschlich – als „Juden“ denunziert hatte.
Die „Deutschstunde“ beförderte die Tatsache, dass der 1956 gestorbene Nolde über Generationen hinweg als NS-Opfer betrachtet wurde. Auch die in Seebüll ansässige Nolde-Stiftung hat diese Sichtweise lange Zeit aktiv gestützt. Erst in jüngerer Zeit wurde das Verhältnis des Malers zur NS-Ideologie kritisch hinterfragt, unter anderem 2014 mit der Nolde-Retrospektive im Frankfurter Städel-Museum. Und auch in der Kunsthallen-Ausstellung „Nolde in Hamburg“, die 2015/16 etwa 120.000 Besucher anlockte, wird die Parteinahme des Malers für die Nationalsozialisten erwähnt. „Alle Karten müssen auf den Tisch, Tabus darf es keine mehr geben“, sagt Christian Ring, seit 2013 Direktor der Nolde-Stiftung.
Auf deren Website findet sich der Hinweis auf ein Forschungsprojekt, das „Emil Nolde und den Nationalsozialismus“ in den Blick nimmt. Der Kunsthistoriker Bernhard Fulda untersuche im Rahmen dieses Projekts erstmals „umfassend die Beziehung Emil Noldes zum Nationalsozialismus“ und verbinde dies mit einer Rezeptionsgeschichte Noldes insbesondere nach 1945. Der Untertitel dieses Projekts heißt treffend: „Ein Künstlermythos im 20. Jahrhundert“.