Hamburg. Seit „Zaman“ in der Türkei unter staatlicher Kontrolle steht, sorgt sich der Journalist Ramis Kilicarslan um die Zukunft des Blatts.

Im Grunde könnte man sagen, dass Ramis Kilicarslan einfach ein normaler Hamburger Journalist ist. Der 53-Jährige schreibt über lokale Themen in Hamburg und im Norden. Diese Woche hat er zum Beispiel über die anstehende Wahl in Mecklenburg-Vorpommern und über einen Waffenfund im Kreis Steinburg berichtet. Er führt Interviews mit den Senatoren, hat schon mehrere Delegationsreisen begleitet.

Aber bei Kilicarslan ist in Wahrheit doch vieles anders als bei anderen Berufsgenossen. Zum Beispiel, dass er für eine Zeitung arbeitet, deren Mutterausgabe von der türkischen Regierung beschlagnahmt wurde. Gemeint ist „Zaman“, die auflagenstärkste Zeitung der Türkei, die seit März unter staatlicher Kontrolle steht. „Zaman“ gilt als Sprachrohr des Predigers Fethullah Gülen, den die Türkei für den Putschversuch im Juli verantwortlich macht. In der letzten unabhängig produzierten Ausgabe titelten die Redakteure: „Die Verfassung ist ausgesetzt.“

Keine Kooperation mehr mit dem Mutterblatt

Seitdem ist „Zaman“-Deutschland auf sich allein gestellt. „Es gibt keine Kooperation mehr“, sagt Kilicarslan. Vorher hätte die Zeitung in der Türkei Artikel aus Deutschland bekommen und andersherum. „Aber die Texte, die da jetzt erscheinen, können wir nicht mehr gebrauchen. Da wird nur noch Propaganda der AKP gemacht.“

Wenn Kilicarslan die Ausrichtung seiner Zeitung beschreiben soll, dann sagt er: „Informativ, unabhängig, dialogfähig.“ Ob die Gülen-Bewegung im Hintergrund mitbestimme? Er verneint vehement. Ob die Zeitung auch über Gülen kritisch schreiben dürfte? Kilicarslan sucht nach Worten. Zusammengefasst sagt er dann in etwa: Ja, könnte man, aber das macht keiner, weil es ja nichts zu kritisieren gibt. Seine eigene Gesinnung sei jedenfalls in der Redaktion noch nie Thema gewesen. „Ich weiß nicht, was es bedeutet, ein Gülen-Anhänger zu sein oder nicht zu sein. Aber die Werte zeigen mir einen Weg, wie ein Mensch im 21. Jahrhundert in einer pluralen Gesellschaft friedlich leben kann.“

"Ob die mich wieder rauslassen, ist fraglich"

Kilicarslan sagt von sich, dass er zwar über deutsche Politik schreibe, selber aber eigentlich eher unpolitisch ist. „Ich bin keiner, der für irgendeine bestimmte Partei die Fahne hochhalten würde.“ Er findet es schwer, sich festzulegen, und auch an Erdogan fand er nicht alles schlecht – aber spätestens seitdem knapp 50 seiner türkischen Kollegen verhaftet worden sind, ist er sehr besorgt. „Ich kann mich noch gut an den 4. März erinnern, als ich die Nachrichten im Fernsehen über die Beschlagnahmung gesehen habe. Das war ein Schock für uns alle.“

Kontakt mit seinen ehemaligen Kollegen hat er derzeit nicht. Weil er sich nicht traut, sie zu kontaktieren, wie er sagt. Sie sollten nicht noch mehr Ärger bekommen, als sie ohnehin schon haben. Kilicarslan selbst sei das letzte Mal vor ein paar Jahren im Rahmen einer Delegationsreise mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil in der Türkei gewesen. Es war wohl zumindest vorerst das letzte Mal. „Einreisen wäre ja kein Problem, aber ob die mich wieder rauslassen, ist fraglich.“

Drohungen in den sozialen Medien

Auch in Hamburg habe sich der Ton verschärft. Ihm werde inzwischen in sozialen Medien offen gedroht. Auch damit, ihn als „Mitglied einer Terrororganisation“ in der Türkei zu melden. Oder ihn anzuzeigen – weshalb genau, wisse er nicht. Seit März wurde zudem zweimal in die Redaktionsräume eingebrochen, die Spuren sind noch heute sichtbar. Kameras und anderes Equipment wurden gestohlen. „Ob das politisch motiviert war, weiß ich nicht“, sagt der zweifache Familienvater.

Seit der Beschlagnahmung der türkischen „Zaman“ und der Hetze gegen Gülen-Anhänger steht es auch um „Zaman“-Deutschland, die zur World Media Group mit Sitz in Offenbach gehört, zunehmend schlecht.

Mitarbeiter mussten entlassen werden

Etliche Mitarbeiter mussten laut Kilicarslan entlassen werden. „Uns sind viele Anzeigenkunden weggebrochen, die aus Angst nicht mehr bei uns inserieren wollten“, sagt er. „Und so musste am Personal gespart werden.“ Die Auflage von „Zaman“-Deutschland liegt derzeit bei rund 14.000 gedruckten Exemplaren, dazu kommen rund 20.000 Digitalkunden. Bis vor einigen Monaten war die Zeitung meist 24 Seiten stark, inzwischen sind es nur noch 16 Seiten.

Auch das Norddeutschland-Team ist recht überschaubar. Kilicarslan ist der Leiter des Ressorts und gleichzeitig der einzige feste Mitarbeiter. Vier freie Reporter sind zudem für ihn tätig. „Die Arbeit für die einzelnen Mitarbeiter wird immer mehr. Es gab schon Ausgaben, in denen ich allein acht Artikel geschrieben habe“, sagt er. Nur ein Mal habe er kurz überlegt, ob es besser wäre, nicht mehr unter seinem Namen zu veröffentlichen. Aber das möchte er nicht. „Ich habe nichts zu verbergen. Ich will einfach nur meine Arbeit machen.“

Unterstützende Worte für „Zaman“-Deutschland findet der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, Frank Überall: „Die Gülen-Bewegung wird nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Das heißt nicht, dass man die Inhalte der Zeitung mögen muss. Aber das gehört zur Pressefreiheit, die wir hier, im Unterschied zu vielen anderen Ländern, zum Glück haben.“