Hamburg. Von der EM zu den Spielen in Rio: Moderator Alexander Bommes über das IOC, Doping und große Fleischportionen nach Feierabend.

Alexander Bommes hat nur wenige Stunden Schlaf hinter sich, als er den Telefonhörer am späten Nachmittag in Rio de Janeiro abnimmt. Seiner guten Laune tut das keinen ­Abbruch. Er plaudert drauflos, lacht, zwischendurch wird er kurz ernst, etwa wenn es um das Thema Doping geht. „Und, wie ist es denn gerade so in Hamburg?“, will er am Ende des Gesprächs noch wissen.

In Ihrem Gepäck für Rio befinden sich unter anderem ­Moderationskärtchen und Mückenspray – hat sich beides bewährt?

Alexander Bommes: Moderationskarten sind bei Olympia entbehrlicher denn je, denn ein mühsam gebauter Sendeablauf ist häufig nach den ersten zehn Minuten einer neunstündigen Sendung Makulatur. Dann heißt es nur noch „Alex, wir müssen kurz aus dem Wasserspringen raus und zum Judo!“ Halbe Minute später dann: „Kein Judo, schnell zum Fechten!“ Das macht aber gerade den Reiz aus und mir unwahrscheinlich viel Spaß, von Reporter zu Reporter Pingpong zu spielen. Und Mückenspray? Ganz ehrlich: Ich hatte so einen Schiss im Vorfeld, aber ich habe noch nicht eine töten müssen ... Toi Toi Toi.

Sie stehen aktuell für das zweite Sport-Großereignis dieses Sommers vor der Kamera. Wie verhält sich Olympia zur vorangegangenen Fußball-Europameisterschaft?

Momentan führt die EM 3:0, würde ich sagen. Minimum. Fußball ist in der Gesellschaft deutlich stärker verankert, das ist auch in diesem Sommer wieder zu spüren. Die EM hat es ­geschafft, auch diejenigen Zuschauer mitzureißen, die sich sonst eher am Rande interessieren. Faszination Fußball halt. Das ist bei Olympia hier schon anders. Es gibt Höhepunkte, zahlreiche sogar. Aber das berühmte „olympische Fieber“ ist auch hier vor Ort nur ausgewählt zu spüren. Wir sind noch auf der Suche nach den Gründen, sicher haben die Diskussionen im Vorfeld um Doping, die Rolle des IOC zu Misstrauen und Vertrauensverlusten geführt. Ich war am Freitag sehr enttäuscht, als ich sah, dass das Leichtathletikstadion so leer war. Zusammen- ­fassend kann man sagen: Die Stimmung ist da, man muss sie aber finden … Und wir haben ja noch eine Woche!

Fußball scheint bei den Olympischen Spielen eher eine Randsportart zu sein.

Das ist doch aber gut so! Ich finde es klasse, wenn mehr als sechs Millionen Menschen plötzlich Pistolenschießen gucken. Ich habe im Anschluss ein Interview geführt mit der Silber­medaillengewinnerin, in dem wir unter anderem per Skype ihre Familie zugeschaltet hatten. Das war richtig emotional, in solchen Situationen entstehen die Olympia-Momente. Für mich als Moderator ist es deutlich spannender, mit einem überwältigten Sportler zu sprechen, der gerade über sich hinausgewachsen ist und noch nicht so oft in seinem Leben in ein Mikrofon gesprochen hat, als mit einem Fußballer, der das 2000. Interview in dieser Saison gibt. Das ist so schön unverstellt dann.

Apropos Langeweile: Spüren Sie bei sich selbst gewisse Ermüdungserscheinungen nach Ihrem Dauereinsatz bei der EM und nun beinahe zwei Wochen Rio?

Gelangweilt? Im Leben nicht. Das ist ein anstrengender Job, klar. Vor allem, weil ich zwischen EM und Olympia nur wenige Tage hatte, um runterzukommen und das Geschehene zu verarbeiten. Auch emotional. Dafür braucht man normalerweise ein paar Wochen. Aber ich will mich überhaupt nicht beklagen: Für die ARD an so prominenter Stelle von den Olympischen Spielen berichten zu dürfen, ist ein Kindheitstraum von mir. Dass dieser einmal wahr werden würde, damit hätte ich noch vor wenigen Jahren wirklich niemals gerechnet. Aber etwas zur Ruhe kommen werde ich nach Rio hoffentlich schon. Obwohl: In der Fußball-Bundesliga warten sie leider auch nicht darauf, dass ich mich regeneriert habe.

Was machen Sie, wenn Ihr Kollege Gerhard Delling vor der Kamera steht und Sie frei haben?

Ich schlafe und esse. Und bereite dann wieder vor. Mehr ist nicht drin. Der Rhythmus ist schon hart. Aber wir sind ja nicht im Urlaub hier. Wenn ich es schaffe, schaue ich mir hoffentlich vor meiner Rückreise noch die Christusstatue an, die würde mich dann doch schon interessieren. Sonst bitte ich einen Kollegen, ein Handy-Foto zu machen und sage zu Hause, das ­wäre meins … Und ein Spiel der deutschen Handballer habe ich mir an meinem moderationsfreien Tag angesehen, das ist mir ein persönliches Anliegen. Die anderthalb Stunden ­habe ich mir organisiert. Und gestern war ich das erste Mal außerhalb des Olympiaparks Abendessen. Meistens bin ich dafür viel zu k.o.

Was haben Sie bestellt?

Kulinarisch war es eine Sensation. Fantastisches Fleisch, das uns in verschiedenen ­Varianten so lange auf den Teller ­geschnitten wurde, bis ich die grüne Karte auf dem Tisch, die „ich möchte mehr“ bedeutet, schließlich auf Rot drehen musste. Die Quittung für den Ausflug habe ich allerdings später bekommen. Weil wir auf dem Heimweg zum Olympic Park in die gefühlt 25. Straßensperrung der vergangenen Tage reingeraten sind, mussten wir aussteigen und noch fast eine Stunde zum ­Hotel laufen. Da war ich schon mal so flexibel und nicht um 21 Uhr im Bett, und dann hat es zur Strafe gleich meinen Rhythmus gesprengt. So ist Rio de Janeiro. „Ist halt so“ ist der meistgesprochene Satz dieser Tage hier in Brasilien.

Wie ist das Verhältnis zwischen ARD und ZDF in Rio? Ist man eher Verbündeter oder Konkurrent?

Wenn es um die Quoten geht, stehen wir natürlich im Wettbewerb ­zueinander. Als der Deutsche Doppelvierer am ARD-Tag wegen Windes abgesagt wurden, sagte ein ZDF-Kollege scherzhaft: „Jetzt holen wir die Medaillen morgen“. War auch so. Insgesamt haben wir aber ein sehr partnerschaftliches Verhältnis. Ich bin im selben Hotel wie Katrin Müller-Hohenstein und Rudi Cerne. Wir frühstücken hin und wieder zusammen und teilen unsere Eindrücke miteinander.

Ist Doping nach wie vor ein Thema in Rio?

Das kann man natürlich nicht ausblenden. Wollen und tun wir auch nicht. Es wäre die ganz falsche Haltung, in eine gestrige Sport-Romantik zu verfallen und so zu tun, als gäbe es keine gedopten Olympia-Teilnehmer. Hajo Seppelt, unser Doping-Experte, sitzt im Sendezentrum dreieinhalb Meter entfernt von mir, das Thema ist also zwangläufig ständig präsent. Aber man muss bei aller kritischen Haltung auch die Balance wahren. Die Olympischen Spiele sollen ja auch eine Plattform sein für Ausnahmesportler, die vielleicht nur dieses eine Mal im Leben die Möglichkeit haben, ihr Können unter den Augen der Öffentlichkeit unter Beweis zu stellen. Diese Sportler dürfen nicht dafür bestraft werden, dass manch ein Kollege mit Dopingmitteln Missbrauch betreibt. Und was man auch nicht vergessen darf: Wir Moderatoren sind nicht die Richter über die Gedopten. Unsere Pflicht ist es, zu berichten. Nicht mehr und nicht weniger.

In Hamburg werden ja nun keine Olympischen Spiele stattfinden. Sie waren einer der Fürsprecher in dieser Angelegenheit. Ist der Job in Rio ein kleiner Trost für Sie?

Nö, das ist kein Trost. Ich finde es nach wie vor sehr schade und halte die Entscheidung für falsch. Bei allem Respekt vor der Leistung der Brasilianer, dieses Großereignis zu stemmen – aber wenn man zum Teil das Chaos von Rio erlebt, kommt man nicht umhin sich vorzustellen, was Hamburg hätte besser machen können. Hamburg hätte Olympia zu einer Veranstaltung machen können, die die Menschen wieder zum Sport bringt. Sport verbindet die Leute wie nichts anderes. Dieses Gefühl hätte in Hamburg wiedererweckt werden können. Das Konzept war nicht auf ­Gigantismus ausgelegt, sondern auf ­Begeisterung.

Was vermissen Sie in diesen Tagen am meisten aus der Heimat?

Meine Söhne. Erholung kommt hier auch deutlich zu kurz, ich werde also wohl nach meiner Rückkehr einige Zeit im Bett verbringen. Oder besser auf dem Golfplatz. Und selbst ich als absoluter Fleischmensch, der sich in dieser Hinsicht hier wie im größten Spielzeugladen der Welt fühlt, werde in Hamburg erstmal zwei bis drei fleischfreie Tage einlegen.