Hamburg. Kino ohne Popcorn und Cola-Eimer, dafür mit viel Kunst: Das UCI Mundsburg zeigte fünf Stunden Parsifal. Unser Autor war dabei.
Jacob ist der Jüngste hier, aber er sitzt wie ein Alter. Fünfeinhalb Stunden Parsifal aus Bayreuth, leicht zeitversetzt ins UCI Kino Mundsburg übertragen, sind für den Elfjährigen allerdings auch keine allzu schwere Übung. Immerhin war er schon in Bayreuth. Dem Ort der harten Stühle und engen Sitzreihen. Mit acht. Und mit seiner Mutter, die auch an diesem langen Montagabend dabei ist. Geige spielt Jacob und Klavier. Was er abgesehen von Wagner-Opern gerne hört? „Klassik.“
Das hat er wohl mit den etwa 70 Wagnerianern gemein, die den Weg an die Mundsburg gefunden haben. Sie alle wollen die mit Spannung erwartete Eröffnung der Bayreuther Festspiele erleben. Für 28 Euro Eintritt inklusive Sekt im Foyer – ein Bruchteil des durchschnittlichen Kartenpreises in Bayreuth. Während Jugendliche mit Nacho-XXL-Portionen und 1,5-Liter-Cola-Eimern in Blockbuster wie „Star Trek Beyond“ und „Independence Day 2“ strömen, gilt es in Saal sieben der wahren Kunst. Und auf jeden Fall nicht der Nahrungsaufnahme. Hier knistert keine Chipstüte, wird kein Popcorn gemampft oder etwa eine heimlich eingeschmuggelte Bierdose aufgerissen. Hier zählt Wagner, sonst nichts.
„Warum tun wir uns das an?“, fragt Musikkritiker Axel Brüggemann im Vorprogramm von der Leinwand herab. Wohl auch, weil eine Bayreuth-Premiere noch immer ein Weltereignis ist, dem nicht nur in Deutschland entgegengefiebert wird.
Aus Bayreuth hört man die Huster
Und so herrscht andächtige Aufmerksamkeit im Saal, als gegen 18.15 Uhr das Vorspiel erklingt und auf der Bayreuther Bühne ein morgendlicher Sonnenstrahl durch die Bäume dringt. Hat die Probenzeit für Einspringer Hartmut Haenchen gereicht, der das Dirigat kurzfristig von Andris Nelsons übernahm? Können Uwe Eric Laufenbergs Regieideen überzeugen? Wird Superstar Klaus Florian Vogt als Parsifal den hohen Erwartungen gerecht? Eine rasche Erkenntnis schon im 1. Akt: Wagner im Kino macht Spaß. Weiche Sitze mit viel Beinfreiheit, angenehme Raumtemperatur, ein vorbildlich diszipliniertes Publikum – in welchem Opernhaus gibt es das schon? Während aus Bayreuth immer wieder Huster zu hören sind, bleibt es im UCI mucksmäuschenstill. Nicht umsonst trägt der „Parsifal“ die offizielle Bezeichnung „Bühnenweihfestspiel“. Man lauscht, man schaut und wischt sich beim Anblick des an seiner schlimmen Wunde leidenden Amfortas eine Träne aus dem Augenwinkel. Ein Amfortas (Ryan McKinny) übrigens, der auch mal halb nackt auftritt und sich das durchaus leisten kann. Stichwort Muckibude. Überhaupt machen die vielen Nahaufnahmen einiges her, auch wenn eine etwas zart besaitete Zuschauerin ob der gerade gezeigten Blutströme ihrer Begleitung zuflüstert: „Ich kann da gar nicht hingucken.“
In der zweiten Pause gegen 22 Uhr ist das Kinofoyer wie ausgestorben, der Nachostand geschlossen, aber Getränke und Eis gibt es noch. Eine letzte Stärkung also, dann auf ins Finale, das auch Jacob konzentriert verfolgt. „Alles versteh ich nicht“, sagt er. Ist aber kein Problem, weil Mama ja Bescheid weiß und zwischendurch erklärt. Um 23.15 Uhr dann der letzte Ton aus Bayreuth. Tosender Jubel im Festspielhaus, stille Ergriffenheit an der Mundsburg. Nur Jacob springt auf – ab zum Klo. Das Diesseits hat ihn wieder. Und alle anderen ein paar Minuten später auch.