Berlin. Marius Müller-Westernhagen gibt Unplugged-Konzert in der Berliner Volksbühne. Fatih Akin filmte für MTV.
„Ist hier ’ne Beerdigung, oder was?“ Der Brezelverkäufer schaut irritiert. Es ist ja auch etwas bizarr. Die Menschen, die zur Volksbühne pilgern, sind fast alle jenseits der 50 und in Schwarz gekleidet. Der Mann, dessentwegen sie hier sind, hat sich diesen Dresscode gewünscht. Marius Müller-Westernhagen, 67. Auch er einer, der sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere im Edel-Zwirn gefiel, bevor er den Armani-Marius vor zwei Jahren in die Wüste schickte und ausverkaufte Stadien gegen kleine Clubs tauschte.
Back to the roots, das ist seine neue Marschrichtung. Rau und respektlos. Dazu passt die Volksbühne als Ort für das, was er vorhat. MMW spielt „Unplugged“ für MTV. Der Mann, der mit 14 Millionen verkaufter Schallplatten auf Platz drei der erfolgreichsten Künstler in Deutschland steht, hinter Herbert Grönemeyer und Phil Collins, hat ein „Best of ...“ seiner Songs neu arrangiert für akustische Instrumente. Kammerspiel statt Karacho.
Das Publikum liegt entspannt in Sitzsäcken
Und dann geht der Vorhang auf, eine halbe Stunde später als erwartet, aber mein Gott, das Publikum ist mit MMW zusammen älter und ruhiger geworden. Es sitzt nicht, nein, es liegt in Sitzsäcken. Ältere Herren, die Armani tragen oder die alte Lederhose, sofern die noch passt. Vor dem Konzert haben sie Gruppen-Selfies mit dem iPad geschossen („Wo löse ich denn hier aus?“). Jetzt fläzen sie sich in den Säcken und wippen mit dem Fuß, wenn der Funke von der Bühne überspringt.
Und das dauert gar nicht lange. MMW lehnt lässig in Jeans und Boots und Hut auf einem Barhocker. Er wird eingerahmt von zwei Gitarristen, die aussehen wie die Söhne von Bob Geldof und Keith Richards. Und nach einem ruhigen Intro ist es plötzlich so, als habe MMW die Zeit zurückgedreht und man ist wieder Mitte 20 und steht mit Tausenden im Stadion und grölt: „Geiler is schon“, „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ oder „Freiheit.“
Nur dass man jetzt eben im Sitzsack liegt und es sich zweimal überlegt, ob man aufsteht oder nicht. Aber die echten Fans erkennt man daran, dass sie plötzlich wie junge Rehe aus den Säcken hüpfen. Und das gehört sich auch so, wenn der erste Überraschungsgast aufploppt. Es ist Udo Lindenberg, und er darf ein bisschen trommeln. Westernhagens WG-Genosse aus Hamburger Tagen. Einer, der irgendwann zur Karikatur seiner selbst geworden ist. Westernhagen ist das nicht passiert.
MTV-Unplugged-Konzert kommt wie gerufen
Der Mann, der seine Karriere als Schauspieler begann, hat die Kurve gekratzt. Als er merkte, dass er seine Hits nur noch mit Ironie ertragen konnte, hat er sich von seinem Management getrennt und nur noch gemacht, worauf er Lust hatte. Neue Songs wie „Alphatier“ waren nicht mehr so erfolgreich, aber wen kratzte das, solange er mit gutem Gewissen in den Spiegel schauen konnte?
So ein MTV-Unplugged-Konzert kommt da wie gerufen, als Krönung des gereiften Spätwerks. Mit Geige, Mandoline, Akkordeon, Flöte, mit Background-Chor, mit seiner neuen Freundin Lindiwe Suttel und Tochter Mimi als Begleitsängerinnen. MMW zeigt, dass man sich treu bleiben kann, indem man sich verändert und seine Songs neu verkleidet. „Es geht mir gut“ etwa passt auch heute noch gut zu ihm. Im Country-Rock-Gewand wirkt es wie eine Hymne über den Sugardaddy im Sitzsack.
Leider fördert dieser Abend aber auch seine größte Schwäche zutage. Denn mit MMW ist es wie mit Grönemeyer: Er kann nicht singen, nur knödeln. Doch genau dafür lieben ihn die Fans. Und so nahe wie an diesem Abend war er ihnen vielleicht noch nie. Nur die Spidercam störte etwas. Sie flog über ihren Köpfen durchs Theater. Der Regisseur Fatih Akin („Gegen die Wand“) dreht einen Film über das Konzert, MTV strahlt ihn im Herbst aus. Von wegen: Beerdigung. Demnächst gibt es ein neues Album. Den Stecker zieht Westernhagen nur für MTV.