Hamburg. Drei Jahrzehnte nach ihrem Chartserfolg in den Staaten startet die Hamburger Sängerin dort die erste Tournee. Ein Gespräch.
Dortmund, Wuppertal, Kiel, Dresden. Und am 15. Dezember ein Heimspiel im Hamburger Mehr! Theater. Der Tourkalender von Nena sähe eigentlich ganz normal aus, wären da nicht auch noch drei Termine im September und Oktober in San Francisco, Los Angeles und New York. Mehr als drei Jahrzehnte nach ihrem Überraschungserfolg mit „99 Luftballons“ in den Staaten wagt Nena den Sprung über den Großen Teich. Wir treffen Nena passenderweise am Hamburger Flughafen und sprechen über das Wagnis US-Tour, dass nur wenige deutsche Popstars eingehen.
Mit dem Album „Oldschool“, einer Tour durch kleine Clubs nebst Liveplatte und der Teilnahme an „Sing meinen Song – das Tauschkonzert“ haben Sie in den letzten Monaten viel ausprobiert. Was treibt Sie, 33 Jahre nachdem „99 Luftballons“ auf Platz 2 der Billboard-Charts kletterte, plötzlich in die Staaten?
Nena : Wir waren damals nur kurz für Promozwecke in Amerika und haben Radio-DJ Rodney Bingenheimer in Los Angeles getroffen, der den Song über seinen Sender KROQ populär machte. Live waren wir damals in Japan und überall auf der Welt unterwegs, nur nicht in den USA, und jetzt ist es Zeit, das nachzuholen. Der Gedanke geistert schon seit fünf Jahren in meinem Kopf herum. Und jetzt, 33 Jahre später, am 30. September ist es endlich so weit! Das erste Konzert spielen wir in San Francisco, dann geht es nach Los Angeles und New York. Und dann mal schauen, wie es weitergeht. Das erste Festival im Januar in Los Angeles ist auch schon gebucht.
Und in welcher Größenordnung bewegen sich die Clubs dort?
Knapp 1000 im Regent Theater in L.A., 1400 im Regency Ballroom in San Francisco und 2000 im PlayStation Theater in New York. Das ist ein großes Abenteuer für mich, ein komplett neuer Spielplatz, und ich bin aufgeregt, das zu erleben!
KuEs gibt allerdings auch eine große deutsche Gemeinde in Amerika, sowohl historisch bedingt als auch über Menschen, die in den vergangenen 30 Jahren in die Staaten gezogen sind. „99 Luftballons“ kennen sicher viele davon.
Drei Musiker aus meiner Band sind aus Amerika, und immer wenn sie in ihrem Umfeld erzählen, mit wem sie in Deutschland unterwegs sind, hören sie: „Nena muss nach Amerika kommen.“ Ich werde meine Konzerte dort nicht wesentlich anders gestalten als hier, singe meine Songs auf Deutsch, auch die „99 Luftballons“. Die englische Version fand ich damals schon doof. Ein hilfloser Versuch der Plattenfirma, was nachzulegen, obwohl der Song auf Deutsch längst von allen Radiostationen rauf und runter gespielt wurde.
Dem Lied begegnet man nach wie vor in Filmen und Serien wie „Boogie Nights“, „Watchmen“ oder „Die Simpsons“.
Und auch in „Girls“, einer meiner Lieblingsserien. In Staffel 3, Folge 10, tanzt Hannah zu „99 Luftballons“ in einer Bar. Ich hatte keine Ahnung vorher, als ich die Folge sah, und fand das natürlich zum Knutschen!
Amerika ist für die meisten deutschen Bands weißer Fleck und schwarzes Loch zugleich. Ausnahmen sind Scorpions, Rammstein, Tokio Hotel. Auch Grönemeyer spielte 2013 in Chicago und New York vor jeweils knapp 1000 zumeist Deutschen. Die riefen nach „Bochum“, „Männer“ und „Alkohol“, als Herbert Songs von Bruce Springsteen und Willie Nelson spielte. Wie sieht ihre Liedauswahl aus?
Also Bruce und Willie erst mal wahrscheinlich nicht ... Ich kann mir aber vorstellen, irgendwo spontan meine Akustikgitarre zu schnappen, um Bob Dylan mit „Don’t Think Twice“ ein Ständchen zu singen, auch wenn er wahrscheinlich nicht im Publikum sein wird.
Warum haben deutsche Bands selten Erfolg in den USA?
Gute Frage, how do I know? Wir haben unseren Erfolg in Amerika damals nicht geplant, aber wir waren von Anfang an offen für die große weite Welt und haben uns auf nichts reduzieren lassen. Wir fühlten uns damals einfach lässig mit allem.
Deutscher Pop ist in seinem Selbstbild zu verkrampft?
Hier ist man doch immer noch geradezu erstaunt darüber, wie viel gute Musik es im eigenen Land gibt. In jedem zweiten Interview werde ich darauf angesprochen. „Nena, findest du es nicht toll, wie viele tolle deutsche Bands es jetzt wieder gibt?“ Hallo? Wir müssen endlich mal aufhören, unsere Popmusik selber exotisch zu finden, und hier endlich eine gesunde, selbstbewusste Haltung einnehmen und unsere Musik aus allen Sparten wieder Teil unserer Kultur werden lassen.
Noel Gallagher von Oasis sagte einst: „Wir sind nicht arrogant, wir glauben nur, dass wir die beste Band der Welt sind.“ Fehlt Bands von hier dieser Ehrgeiz und dieses Selbstverständnis? Abgesehen von den Ärzten natürlich.
Da ist etwas dran. Ich kann es nicht ertragen, wenn sich Menschen für ihren Erfolg geradezu schämen. Es ist doch total cool, sich selber wertzuschätzen und toll zu finden.
Scham für Erfolg ist ja auch ein deutsches Pop-Klischee.
Ich habe es oft erlebt: Eine Band ist zu allem bereit, kommt plötzlich gut bei den Leuten an und fällt dann unmittelbar in eine Identitätskrise. Dann rufen sie: „Hilfe, holt uns hier raus, wir sind Indies, wir wollten doch gar keinen Erfolg ...“
Udo Lindenberg sagte uns vor ein paar Wochen, dass die Pop-Männer von heute sehr lieb und nicht gerade kantig seien. „Die milde Sorte“.
Ja, da stimme ich ihm zu. Es zeichnet sich da durchaus ein Trend ab. Kantige Männer sind wichtig, finde ich auch, und Gott sei Dank gibt es ja auch noch welche in diesem Land, Samy Deluxe zum Beispiel. Für Udo waren wir damals übrigens auch eine angepasste Weichspül-Teenieband. In Amerika standen wir in den Plattenläden im Punk- und Indie-Regal, in Japan wurden wir als mega-exotische Neuerfindung gefeiert. Es liegt immer im Auge des Betrachters. In den 80ern wollte ich der Sache mal auf den Grund gehen und habe mir zwei Autos gekauft. Einen uralten, verrosteten Fiat 500 und ein Hochglanz-Alfa-Spider-Cabrio. Egal mit welchem Auto ich vorfuhr, es gab immer was zu nölen. Wenn ich aus dem Spider ausstieg, hörte ich „Oh, Mann, muss die hier rumprotzen“, und wenn ich aus der verbeulten Karre stieg, gingen die Kommentare in Richtung „Kann die sich kein besseres Auto leisten?“ (lacht). Meckern und bewerten ist einfach ein deutsches Phänomen.
Nach all der Zeit feiern Sie in zwei Jahren Ihr 40. Bühnenjubiläum ...
Oh, Mann, ist es schon so weit?! Wann habe ich mit den Stripes mein allererstes Album aufgenommen ... 1978? Das fühlt sich einerseits ganz weit weg an, und es könnte auch gestern gewesen sein.
Oder „Nur geträumt“.
(lacht) Was heißt „nur“?
Nena Do 15.12., 20.00, Mehr! Theater am Großmarkt (Bus 3), Bankstraße 28, Karten ab 57,23 im Vorverkauf; www.nena.de