Werde ich in Deutschland gefragt, was ich denn so beruflich tue, erhalte ich auf meine Antwort „Schriftstellerin“ in neun von zehn Fällen gönnerhafte Gegenfragen: „Ach? Und haben Sie schon veröffentlicht? Tatsächlich? Muss man Sie kennen? Und was arbeiten Sie?“ Deutschland, deine spöttische Arroganz gegenüber Kreativität ist seit Jahren Europameister. Kunstmachende sind verdächtig, Kindern wird früh mit­geteilt, sie sollten lieber was Ordentliches lernen. Der Nutzwert von Kultur fürs Leben ist in der Prioliste der Teutonen weit hinter Bundesliga und Bier verortet. Nichts gegen Bier, wir sind eben eine Trink- und TV-Nation.

    In Frankreich – egal ob in Paris, oder in meiner zweiten Heimat, der Bretagne – kommt in neun von zehn Fällen diese Gegenfrage: „Ach? Und worum geht es in Ihren Büchern?“

    Frankreichs Haltung zur Kultur ist eine Wohltat. Kultur ist Grundnahrungsmittel der französischen Seele. Schriftstellerin, Musiker, Malerin, Komponist – das sind respektable Berufe, sie genießen eine ehrliche Anerkennung in allen Ständen. Schöpferbereitschaft: diese Kulturtechnik ist unter Franzosen hoch angesehen. In La France gilt das Kunstmachen als eine Tätigkeit, die Geist, Mut, Risikobereitschaft, Denken, Feinsinn, Disziplin, innere Freiheit und Emotionalität bedarf. Oder, anders ­gesagt: Der Franzose weiß, dass Kunst Arbeit ist.

    Besuche ich meine bretonischen Nachbarn Danielle und André (er nimmt Malkurse an der Akademie, mit 70), bemerke ich, wie normal es ist, beim Essen über Bücher, Bands oder Theaterkritiken ausführlich zu sprechen. Ihre Enkel nehmen durch diese Unterhaltungen früh an, wie über Kunst und Künstler gewertet wird. Frankreich ist auch Analog-Land, Kunst wird ­unmittelbar und als soziales Mittel ­erlebt, nicht nur durch digitale, einsame Berieselung.

    Unter Kunst und Kultur werden auch nicht nur die nach Feuilleton-Dünkel kanonisierten Werke verstanden – sondern Kultur von den Straßen, aus den bunt gemischten Ur-Identitäten der Franzosen. Algerischer Hip-Hop und arabische Rap-Poesie aus den Banlieues wird genauso ernst genommen wie bretonische Gavotte-Musik. Frankreich empfindet eine tiefe Freude an jeglichen berührenden Inhalten, ob komplex oder einfach.

    Auch der Schutz der Kultur liegt unseren Nachbarn am stolzen Herzen – weder wird dort digitale Kulturpiraterie als „cool“ und „üblich“ betrieben wie in unserer All-inclusive-Mentalität, noch lässt sich die Politik oder Kultur von Anti-Urheberrechts-Lobbyisten beeindrucken. Jean-Noël Jeanneney, bis 2008 Leiter der Nationalbibliothek, empfing einst Google und hörte sich höflich ­deren Pläne zu einer Online-Bibliothek an, bei der sie gerne alle französischen Bücher scannen, digitalisieren und, ach ja, gratis online stellen wollten. Jeanneney nahm unbewegt das Gastgeschenk der Googlianer – eine wertvolle Porzellanteekanne – vom Tisch und ließ sie statt Antwort lächelnd fallen.

    Resistance en français, vive les ­auteurs!

    Nina George (43), Schriftstellerin, schreibt u. a. Romane, Sachbücher und Kolumnen. Ihr Roman „Das Lavendelzimmer“ stand 63 ­Wochen auf der Bestsellerliste und wird in 32 Sprachen übersetzt. Georges Bücher spielen meist im Finistère („Die Mondspielerin“), der Provence („Das Lavendelzimmer“) oder Paris. Sie selbst hat ihre zweite Heimat im bretonischen Trévignon. Mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Jo Kramer, schreibt George als „Jean Bagnol“ Krimis. Der dritte Band spielt teilweise in Marseille und erscheint 2017.