Hamburg. Die Hamburgerin Birgit Weyhe hat den renommierten Max und Moritz-Preis erhalten

    Heimat bedeutet, dass ein Gepard in eine Brezel beißt: So jedenfalls hat die Hamburger Zeichnerin Birgit Weyhe (46) ihr eigenes widersprüchliches Heimatgefühl augenzwinkernd in ein Bild gefasst. Eine andere fühlt sich zu Hause, wenn die Lindenblüten duften, ein schiefes Kirchlein auftaucht oder eine Melodie erklingt. Als Birgit Weyhe im April dieses Jahres nach langer Zeit wieder afrikanischen Boden betrat, musste sie erst einmal die Augen schließen, um nicht von Heimaterinnerungen überwältigt zu werden: die feuchte Luft, zirpende Grillen, ein gestrüppartiger dicker Baobab-Baum ... „Diese Natur, die hatte ich so sehr vermisst!“

    Birgit Weyhe, die gerade mit dem Max und Moritz-Preis ausgezeichnet wurde und damit den renommiertesten deutschen Comicpreis gewonnen hat, ist nämlich in Uganda und Kenia aufgewachsen und erst mit 19 Jahren nach Deutschland zurückgekehrt, zunächst nach München, dann nach Hamburg. Sie weiß, wie sich Heimat anfühlt, und sie weiß auch, wie das ist, wenn man sich vollkommen fremd fühlt und noch nach vielen Jahren nicht genau weiß, wo man denn nun hingehört. Trotz Familie, Mann und zwei Töchtern.

    Vielleicht hat sie deshalb irgendwann angefangen, sich mit dem Schicksal afrikanischer Vertragsarbeiter zu beschäftigen, die aus dem gerade unabhängig gewordenen Mosambik in die DDR gelockt worden waren, um dort eine gute Ausbildung zu erhalten, in Wahrheit aber, um zu arbeiten. Ihre Graphic Novel „Madgermanes“ (so nennt man die DDR-Vertragsarbeiter in Mosambik), für die sie ausgezeichnet wurde, greift vieles von dem auf, was die jungen Männer und Frauen aus Mosambik damals empfanden, wie es sich lebt zwischen verklärter Erinnerung und fremder Gegenwart.

    Die drei Lebensgeschichten, die sie erzählt, hat sie aus Interviews mit ehemaligen Vertragsarbeitern zusammengefügt zu drei typischen Biografien, liebevoll gezeichneten, einfühlsamen Menschengeschichten, wirklichkeitsnah und jenseits vereinfachender Klischees: der schüchterne, arbeitsame Antonio, der lustige Lebemann Basilio und die starke, unbeirrbare Anabella.

    Wer zurück in die Heimat kam, stand vor dem Nichts

    Glücklich ist keiner geworden von den dreien. Denn wer nach der Wende zurück in die Heimat kam, fand zerstörte Dörfer und Familien vor und galt selbst entweder als Drückeberger oder als reich. Tatsächlich aber standen die Rückkehrer vor dem Nichts. Die starke Anabella indes hat es geschafft, in Deutschland Ärztin zu werden. Nach Afrika zurückzukehren, wo Gewalt gegen Frauen ein großes Problem ist, kam für sie nicht infrage.

    Dass sie nicht realistisch zeichnen kann, weiß Birgit Weyhe. Sie hat bei Anke Feuchtenberger an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg studiert, und sie preist noch heute deren intensive, anspruchsvolle Art der Ermutigung. „Ich bin keine klassische Comicautorin, die filmisch erzählt. Bei mir ist es eher so wie bei Max und Moritz: Text und Bild formen den Takt.“ Die eigene Handschrift hat sie digitalisiert, und manchmal variiert sie die Technik mit Kartoffeldruck, in Aquarell oder Symbolen.

    Sie stilisiert Tier- und Pflanzendarstellungen so, dass sie an afrikanische Stoffdrucke erinnern. Und für Gefühle findet sie kraftvolle Bilder. Die schwarze Wolke des Alleinseins. Den Adler des Verliebtseins, das Krokodil mit schmerzvoll aufgerissenem Maul für Liebeskummer, eine diffus gemalte Meute für marodierende Neonazis und die daraus wachsende Angst, damals im Wohnheim von Hoyerswerda ...

    Aber auch das Geschichtenerzählen liegt ihr im Blut: Als Birgit Weyhe klein war, hörte sie von den afrikanischen Kinderfrauen ständig irgendwelche Geschichten, denn die mündlichen Erzähltraditionen stehen in vielen afrikanischen Ländern im Zentrum der jeweiligen kulturellen Identität. Die mütterliche Muy Balikatonda, die oft auf sie aufpasste, erzählte ihr von der bösen Hyäne und dem gierigen Zebra, das so verfressen war, dass es von allen Tieren als letztes zu Gott kam und bei ihm nur noch einen schwarzen Stoff vorfand. Den legte sich das Zebra um, aber weil es so viel gefressen hatte, platzte sein Fell, und so entstanden darauf die Streifen ...

    Viele weise Sprichworte aus Afrika hat Weyhe in ihre Geschichten aufgenommen und dafür einfache, magische Bilder gezeichnet. „Madgermanes“ ist schon länger fertig. Neben ihren Jobs als Lehrbeauftragte arbeitet sie an ihrem Atelierschreibtisch zurzeit mit einer nigerianischen Autorin an einem Buch, das sie in Grün und Orange illustriert. Farben waren bisher nicht ihre Sache. „Aber wenn ich 80 bin und viele weitere Bücher gemacht habe, dann habe ich alle Farben zusammen.“

    Birgit Weyhe, „Madgermanes“.
    Avant Verlag, 238 S., 24.95 Euro