Jan Delay erlebte den Albtraum jedes Sängers. Letzte Hoffnung waren die Spezialisten der Deutschen Stimmklinik am UKE.
Was für eine Stimme: Sie kommt immer etwas nasal rüber, ein bisschen knödelnd vielleicht. Aber schon deswegen ist sie unverwechselbar. Sein Markenzeichen eben. Aber dann bekam Jan Delay, einer der erfolgreichsten deutschen Popmusiker, auf einmal Probleme mit seinem Gesang. „Nach einem Konzert war ich plötzlich heiser, und das ging irgendwie nicht weg. Singen habe ich nie gelernt, denn ich komme ja ursprünglich vom Rap. Und als es dann mit dem Singen richtig ernst wurde, war es zunächst so, als würde ich Fußball spielen, ohne meine Muskulatur vorher warm zu machen“, sagt der 40-Jährige, der eigentlich Jan Philipp Eißfeldt heißt. „So was passiert meist, kurz bevor man mit einem neuen Album auf Tournee geht. Ein Konzert dauert zwar nur etwa zwei Stunden, aber vorher bin ich ja sieben, acht Stunden im Studio und bei den Proben – das ist dann schon extrem anstrengend. Ich bin also zu einem Facharzt, und der hat mich dann zu ihm hier geschickt.“
„Zu ihm hier“ – gemeint ist Markus Hess, Initiator und Mitbegründer der Deutschen Stimmklinik, die auf dem Gelände des Universitätsklinikums Eppendorf angesiedelt ist und mit dem UKE kooperiert. Der Professor Dr. med. ist 57 Jahre alt, schlank, hochgewachsen und gleich Doppelfacharzt; einmal für HNO, aber eben auch für „Phoniatrie“. Als „Phonochirurg“, einer recht jungen medizinischen Hochleistungsdisziplin, genießt er weltweiten Ruf.
Zum gemeinsamen Fototermin haben wir uns mit dem Arzt und seinem prominenten Patienten in einem orientalischen Restaurant in Altona verabredet, wo Jan Delay gerne zu Mittag isst. Denn sein Tonstudio ist gleich um die Ecke, und mit seiner Band Beginner spielt er dort gerade das neue Album der Hamburger Hip-Hop-Lieblinge ein, das im Spätsommer erscheinen soll, so um den 31. August herum.
Es ist vielleicht ungewöhnlich, dass ein solch populärer Künstler wie Jan Delay, der üblicherweise so gut wie gar nichts von seinem Privatleben an die Öffentlichkeit dringen lässt, bereit ist, ausgerechnet über etwas so Intimes wie eine Stimmbandreparatur zu sprechen, die ihn nach einer erfolgreichen Operation erst einmal drei Wochen lang zwangsweise sprachlos machte. Doch andererseits stellt er klar, dass er schließlich nicht der Einzige sei, dem so etwas passiert ist: „Ich hab kein Problem, darüber zu sprechen, denn es war ja auch nix Schlimmes. Es hat mich nur ziemlich behindert, doch ich denke mal, es wäre sogar ganz gut, wenn ein paar Kolleginnen und Kollegen, die vielleicht auch Probleme mit der Stimme kriegen, jetzt wissen, dass es da Leute gibt, die ihnen helfen können.“
Jede menschliche Stimme ist einzigartig
Das größere Problem bei der Behandlung oder der Reparatur einer Stimme liegt wohl zweifelsfrei bei Markus Hess. Denn jede menschliche Stimme ist so individuell und einzigartig wie ein Fingerabdruck. „Ich muss daher versuchen, wie ein Automechaniker zu arbeiten – ich muss hören, an welcher Stelle der Motor nicht funktioniert“, sagt er, „denn vielleicht hat der Patient einen kleinen Polypen auf dem Muskel sitzen, aber wenn der dann wie ein Stoßdämpfer wirkt, muss ich abwägen, ob das nicht sogar gut für seinen Gesang ist. Ich kann jedenfalls nicht nur nach dem Lehrbuch arbeiten.“ Jan Delay musste ihm daher zunächst einige seiner Songs vorspielen, um Markus Hess die Möglichkeit zu geben zu beurteilen, wie seine Stimme vor der unangenehmen Heiserkeit klang.
„Sänger ist nicht gleich Sänger. Da gibt es die Sprinter mit den kurzen Lauten oder die Dauerläufer mit den langen, anstrengenden Passagen. Manchmal muss man natürlich beides draufhaben. Was wird gefordert, was ist das Problem? Viele Sänger haben übrigens auch Probleme mit den Muskeln.“ Denn die Stimmgebung sei zwar evolutionsbedingt eh nur ein Nebenprodukt des Kehlkopfes, aber das Singen wiederum sei für dieses Organ vergleichbar mit Hochleistungssport. Besonders anfällig seien klassisch ausgebildete Stimmen, vor allem diejenigen der Sopranistinnen. „Wenn man sich da als Chirurg um einen Zehntelmillimeter verschätzt, kann es das schon gewesen sein mit dem klaren hohen C“, sagt Markus Hess, „während es bei Jan Delay nicht so sehr auf die hohen Noten ankommt – er könnte auch eine Lage tiefer singen, aber klassische Sängerinnen können das nicht.“
In solchen Augenblicken sieht Markus Hess sich häufig als „Sportarzt“, der seinem Schützling auch schon mal von einem Auftritt abraten muss. „Bei häufig strapazierten Stimmen kommt es unter anderem zu Einblutungen und anschließenden Vernarbungen“, sagt der Arzt, „aber das tut nicht weh. Die Sänger merken schnell, dass sie immer mehr Gas geben müssen, und so wird ihr Stimmapparat noch stärker in Mitleidenschaft gezogen.“
Seine medizinische Sparte sieht Markus Hess in der Hightech-Medizin angesiedelt. Es gibt zurzeit weltweit ja auch nur wenige „Phonochirurgen“, und beim wohl berühmtesten von ihnen, Steven Zeitels, der am legendären Massachusetts General Hospital in Boston praktiziert, hat Markus Hess, der in Amerika geboren wurde und dort auch arbeitete, seine Fähigkeiten als Phonochirurg vervollkommnet.
Zeitels hat unter vielen anderen auch den britischen Superstar Adele an ihrer Stimmlippe operiert. Und nach amerikanischen Fernsehberichten begaben sich auch auch Cher, Lionel Richie und Steven Tyler von Aerosmith unter sein Skalpell. Diese Liste kann vermutlich noch verlängert werden. „Zeitels hat mir damals geraten, mich voll auf dieses Spezialgebiet zu konzentrieren. Heute bin ich ihm für diesen Rat dankbar – denn der Behandlungsbedarf ist höher, als viele Menschen glauben.“ Und dies sei letztlich auch der Grund gewesen, eine rein akademische Direktorenstelle am UKE gegen die klinische Selbstständigkeit in Kombination mit einer universitären Professur zu tauschen.
Überall da, wo die Stimme überproportional häufig zum Einsatz kommt, kann sie überstrapaziert werden: Besonders häufig, so Markus Hess, sei dies bei Musicaldarstellern der Fall, die in einer Woche bis zu acht Aufführungen absolvieren müssen; ganz zu schweigen von Schauspielern, Managern und Pastoren, Lehrern oder Erzieherinnen, die sich mit ihrer Stimme täglich durchsetzen und sich Gehör verschaffen müssen. „Glücklicherweise besitzen viele Menschen aber auch ein Selbstkorrektiv. Die wissen, wann sie sich schonen müssen“, sagt Markus Hess, „aber nicht selten müssen wir dann eben auch mal vor Ort nachschauen und eventuell operieren.“
Phonochirurg muss extrem ruhige Hände haben
Die Untersuchung ist schmerzlos. Die Kehle des Patienten wird mit einem Spray betäubt, um den Würgereflex zu minimieren, wenn Markus Hess einen hauchdünnen Schlauch durch die Nase bis hinunter zum Kehlkopf, zu den Stimmbändern führt. An der Spitze des Schlauches befindet sich eine hochauflösende Kamera, die gestochen scharfe Aufnahmen auf einen Bildschirm liefert. Den gleichen Weg beschreitet der Phonochirurg auch, wenn er operieren muss. Dafür muss er extrem ruhige Hände haben. „Die meisten Operationen führen wir jedoch in Vollnarkose aus, weil es häufig um Bruchteile eines Millimeters geht, und die Patienten dann tunlichst nicht zucken sollten“, sagt Markus Hess.
Patienten zucken zumeist nur dann, wenn sie erfahren, dass der Begriff „Phonochirurgie“ im Versorgungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nicht existiert. „Speziell für diesen Bereich gibt es leider keine kassenärztliche Zulassung“, sagt der Klinikchef, „aber wir sind mit den gesetzlichen Kassen im Gespräch. Und im Individualfall übernehmen sie manchmal auch die Behandlungskosten.“
Oft bleibt es nicht bei einem Eingriff. Hinzu kommt, dass die Deutsche Stimmklinik die gesamte Behandlungspalette anbietet – von der „Stimmhygiene“ über stimmbezogene Osteopathie, Logopädie, Gesangspädagogik und Sprecherziehung bis hin zum „Vocal Coaching“. Auch dafür arbeiten ausschließlich hochspezialisierte Therapeuten, ein „multidisziplinäres“ Team aus Fachärzten, Logopäden und Gesangstherapeuten.
Jan Delay durfte drei Wochen lang nur flüstern
Nach seiner Operation durfte Jan Delay drei Wochen lang nur flüstern, und auch nur das Nötigste. Dann fing er langsam an, seine Stimme wieder zu belasten, bis er auf seiner letzten Tournee wieder die gleiche Heiserkeit verspürte und kurzzeitig in eine gewisse Panik verfiel.
„Ich bin sofort in Ulm ins Krankenhaus gegangen, und die Ärzte dort stellten über Professor Hess eine Verbindung zu einem Gesangslehrer in Berlin her. Mit dem habe ich daraufhin jeden Tag eine Stunde Übungen im Tourbus gemacht – am Telefon. Aber je länger wir auf Tournee waren, desto besser wurde es“, sagt Jan Delay. Inzwischen betreibe er seinen Beruf so ernsthaft wie ein Profifußballer: „Vor jedem Auftritt wärme ich meine Stimme jetzt auf. Seitdem habe ich keine Probleme mehr.“