Cannes. Maren Ade hat mit ihrem Film „Toni Erdmann“ beim Internationalen Filmfestival zwar nichts gewonnen, aber dennoch überzeugt. Es gab Lob von fast allen Seiten

    Ihr Film war das Gesprächsthema in Cannes. Die Berlinerin Maren Ade hat mit ihrer fast dreistündigen Tragikomödie „Toni Erdmann“ den deutschen Bann gebrochen. Die Geschichte eines Alt-68ers, der seine Karrieretochter in Bukarest mit einem Besuch überrascht und sie damit in peinliche Situationen bringt, war nicht nur der erste deutsche Wettbewerbsbeitrag in acht Jahren, sondern hat auf dem Festival einen ungeahnten Triumphzug hingelegt. Beim Gespräch ist die Stimme der 39-Jährigen vom tagelangen Interviewmarathon ganz heiser. Aber sie macht gut gelaunt weiter.

    Hamburger Abendblatt: Ganz Cannes liegt Ihnen zu Füßen. Hatten Sie diesen Erfolg erhofft?

    Maren Ade: Überhaupt nicht! Ich war schon hochzufrieden, als wir für den Wettbewerb ausgewählt wurden. Das allein war für mich wie ein Sechser im Lotto. Als mir dann gesagt wurde, dass ich damit nominiert bin und vielleicht einen Preis gewinne, meinte ich nur: Ich laufe in Cannes, das ist schon der Hauptpreis! Ich bin wahnsinnig glücklich, dass der Film so gut ankommt.

    Hatten Sie keine Vorahnung, dass Ihr Film so einschlagen würde?

    Ade: Ich habe noch am Montag vor der Premiere am Film gemischt und ihn da erst fertiggestellt. In den letzten fünf Wochen habe ich ihn sicher 20-mal gesehen und dachte irgendwann: „Uff, das ist aber ein ziemlich melancholisches Brett.“ Deswegen war ich über die Reaktionen so überrascht, dass das Komische so stark wahrgenommen wurde. Es macht für einen Film viel aus, im Kino mit anderen gesehen zu werden, vor allem wenn es ums Lachen geht. Man lässt sich anstecken, das ist was ganz Tolles. Für mich war das Publikum in der Premiere wie ein Lebewesen.

    Wie haben Sie diesen Moment empfunden, nach Jahren der Arbeit den Film erstmals mit einem Publikum zu teilen?

    Ade: Es war vor allem eine Riesenerleichterung. Ich sitze in meinem Film wie bei einem Fußballspiel und schaue zu, ohne etwas ändern zu können. Ich war einfach froh, dass es funktioniert.

    Ein deutscher Film mit 142 Minuten Länge – da hat kaum jemand eine Komödie mit einem solchen Zug erwartet. Wie viel war davon schon im Drehbuch angelegt, was hat sich im Schnitt ergeben?

    Ade: Ich habe selbst nie gedacht, dass er so lang wird. Wir haben auch viel diskutiert über die Länge, und nicht jeder war glücklich. Ich habe mir mit dem Schnitt Zeit gelassen, um mir sicher zu sein. Es gab Versionen des Films, die waren eine Viertelstunde kürzer, aber es wirkte länger. Zu meiner Verteidigung habe ich gesagt: „Aber es gibt doch viele lange Filme, die von Tarantino zum Beispiel.“ Dann haben alle mit den Augen gerollt und gemeint: „Ja, is klar, Maren.“

    Sieben Jahre sind seit Ihrem zweiten Spielfilm „Alle Anderen“ vergangen, der auf der Berlinale den Großen Preis der Jury gewonnen hat. Was hat so lange gedauert?

    Ade: Ich habe zwei Jahre recherchiert und geschrieben. Man kann viel Zeit damit verbringen, bis so ein Dialog auf dem Punkt ist. Dann nochmal anderthalb Jahre Vorbereitung, Location­suche, Drehbuch anpassen und Dreh. Wenn man selbst Produzent ist, lässt sich das sehr viel besser verzahnen.

    Die internationale Presse war sehr überrascht, dass eine deutsche Komödie witzig sein kann. Wie deutsch finden Sie selbst Ihren Film?

    Ade: Das Verhältnis zwischen Vater und Tochter ist schon sehr spezifisch für Deutschland, habe ich das Gefühl. Winfried stammt aus der Nachkriegsgeneration, die sich klar gegen die Generation davor abgegrenzt und einen sehr antiautoritären Erziehungsstil verfolgt hat. Und daraus entsteht dann diese Tochter, die diese Freiheit und Selbstbestimmtheit ganz anders verwertet. Dieser Konflikt ist schon typisch deutsch mit dieser Elterngeneration der bürgerlichen Alt-68er.

    Humor scheitert ja meist an den kulturellen Grenzen. Was im einen Land lustig ist, versteht man im anderen nicht. Warum funktioniert es hier?

    Ade: Ich habe ja keine klassische Komödie gemacht. Das Lachen passiert aus Erleichterung. Uns ging es eher darum, die Verzweiflung so echt und logisch wie möglich zu machen. Daraus entsteht dann auch der Humor. Und das versteht man überall.

    Es wird derzeit oft darüber geredet, dass es zu wenige Regisseurinnen gibt, die Filme drehen und damit erfolgreich sind. Hatten Sie jemals Schwierigkeiten?

    Ade: Im Gegenteil. Aber ich bin sicher kein Vorzeigemodell, ich bin die Ausnahme. Es muss einfach normaler werden, dass Frauen Regie führen, auch im Fernsehen. Ein Kinderknick kann kein Grund sein, dass Frauen weniger Aufträge bekommen. Natürlich lässt sich der Beruf mit dem Familienleben vereinbaren. Es müssen nur alle wollen.

    Und Ihren nächsten Film gibt es dann wieder erst in sieben Jahren?

    Ade: Das finde ich fast ein bisschen rasch. Ich mach jetzt erst mal mindestens ein Jahr lang Babypause. Die ist bisher nämlich ausgefallen, weil ich den Film fertig gemacht habe. Und langsam fällt’s aber auch den Kindern auf, dass Mama schon lange nicht mehr zu Hause war.