Bevor er sich an seinen Flügel setzte, gab der Pianist Igor Levit ein persönliches Statement ab, das sich mit dem Schwerpunkt „Freiheit“ des diesjährigen Musikfests befasste – und mit den Buhrufen, mit denen Teile des Publikums in der vergangenen Woche die vor jedem Konzert eingespielten „Freiheitsstimmen“ quittiert hatten. Wir dokumentieren sein Statement im Originalwortlaut.


    „Ich freue mich sehr, hier heute Frederic Rzewskis Variationszyklus „The People United Will Never Be Defeated“ spielen zu dürfen.

    Das Musikfest hat sich dem Thema „Freiheit“ verschrieben. Das Kuratorium hat sich dafür entschieden, vor jedem Konzert Menschen, die zu uns gekommen sind und unser aller Mitbürger sein werden, Stimme zu verleihen. Diese Menschen teilen mit uns in circa einer Minute ihre Erfahrungen, die sie auf der Flucht und/oder hier in Deutschland gemacht haben. Ich habe letzte Woche in der Zeitung gelesen, dass Teile des Publikums damit nicht einverstanden waren. Dabei soll es zu Buhrufen gekommen sein.

    Grundlage und Fundament von Kunst, aber auch von Gesellschaft als solche, ist das Zuhören. Wir hören einander zu, wir lernen voneinander und wir teilen miteinander. Wo, wenn nicht in einem Konzertsaal, ist das Zuhören derart essenziell?

    Musik kann mehr sein als nur das „Wahre, Schöne, Gute“. Musik ist Zivilisationsgeste. Kunst ist Zivilisationsges­te. Sie ist unser dauerndes, nie endendes Lernen mit uns selbst, unseren Erfahrungen und miteinander umzu- gehen. Kunst ist auch deshalb so lebendig, weil sie immer und immer wieder mit neuen Augen betrachtet wird. Sie hilft uns Fragen zu stellen, sie kann auch dafür Grundlage sein, eine Gesellschaft zu definieren. Immer und immer wieder. Wer wir sind, was uns ausmacht. Und ich möchte betonen: Wer WIR sind. Es geht um das WIR, nicht um das ICH. Ich glaube fest daran, dass unsere Gesellschaft stark genug ist, ein neues Wir zu definieren. Das geht nur gemeinsam. Und das geht nur, wenn wir einander zuhören.

    Zuhören ist Zivilisation.

    Wenn also Zuhören Zivilisation ist, möchte ich die Frage aufwerfen, ob die in der vergangenen Woche gezeigten Reaktionen auf die verlesenen Statements vor diesem Hintergrund wirklich adäquat waren ...

    „The People United ...“ ist ein ungeheuer humanes Werk, welches eben diese Botschaft in sich trägt. Die Botschaft des Miteinanders. Es erzwingt eine Haltung von uns allen. Nicht nur damals, 1975, sondern heute und in Zukunft. Wir alle sind People United.

    Vielen Dank.“