Dresden/hamburg. EU-Botschafter des Landes protestiert gegen Projekt der Dresdner Sinfoniker zum Armenier-Genozid. Jeffrey Tate zeigte sich empört.
Wieder hat die Türkei gegen ein deutsches Kulturprojekt interveniert, diesmal auf EU-Ebene gegen das Konzertprojekt „Aghet“ der Dresdner Sinfoniker zum Genozid an den Armeniern vor gut 100 Jahren. Der türkische EU-Botschafter verlange, dass die Europäische Union die finanzielle Förderung für die internationale Produktion einstellt, sagte der Dresdner Intendant Markus Rindt und sprach von einem „Angriff auf die Meinungsfreiheit“. Das Projekt, das 2015 in Berlin Premiere hatte, sieht er aber nicht in Gefahr. „Ich glaube nicht, dass unsere Agentur einknickt.“
Die Exekutivagentur für Bildung, Audiovisuelles und Kultur bei der EU-Kommission hat Rindt zufolge aber insofern nachgegeben, als sie Informationen auf ihrer Internetseite entfernte. Es sei ein Warnsignal, dass die türkische Regierung selbst vor Einflussnahme auf freie Meinungsäußerung in Kunst und Kultur in Europa nicht zurückschrecke. Dabei habe sie bei der EU sogar mit Abbruch der Beitrittsverhandlungen gedroht.
„Sie wollten, dass niemand davon erfährt und dass die Begriffe Genozid und Völkermord getilgt werden“, sagte Rindt. Für die Musiker namhafter europäischer Orchester sei eine solche „Entschärfung“ inakzeptabel. „Man muss beim Namen nennen, was es war“, betonte der Orchester-Intendant. „Wir können nicht drum herumreden, dass es um Völkermord geht.“
Die Brüsseler EU-Kommission bestätigte, dass der Text von der Website entfernt wurde. Es habe Bedenken gegeben bezüglich der Wortwahl. Man spreche nun über neue Formulierungen. „Eine neue Projektbeschreibung wird in den nächsten Tagen veröffentlicht werden“, versicherte eine Sprecherin. Die EU-Kommission unterstützt das Projekt mit 200.000 Euro. „Seine Umsetzung ist nie in Frage gestellt worden“, erklärte die Sprecherin.
Jeffrey Tate, Chefdirigent der Hamburger Symphoniker, stellte sich am Sonntag an die Seite der Kollegen und zeigte sich ebenfalls empört über den Vorgang: „Man sollte niemals nachgeben!“ Die EU-Reaktion nennt Tate „tragisch“: „Ich kann das nicht verstehen, man sollte sich nicht erpressbar machen.“
Den Verhaftungen armenischer Intellektueller in Istanbul waren 1915 Deportationen und Vernichtung gefolgt. Schätzungen zufolge kamen 800.000 bis 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit im Osmanischen Reich ums Leben. Die Türkei als dessen Nachfolger sieht im Begriff Völkermord dennoch eine ungerechtfertigte Anschuldigung. „Wir wollen einen Dialog in Gang setzen“, erklärte Rindt.
Die Idee zu „Aghet“ stammt vom deutsch-türkischen Gitarristen Marc Sinan. Nach zwei Aufführungen in Dresden Ende April soll das Konzert, für das sich die Dresdner Sinfoniker mit Kollegen aus der Türkei und Armenien und Mitgliedern des No Borders Orchestra aus Ex-Jugoslawien verstärkten, u. a. in Istanbul gastieren.
Nun sehen sich die Sinfoniker in einer Reihe mit dem Satiriker Jan Böhmermann. Dabei gehe es ihnen, so Rindt, nicht um Provokation, sondern Versöhnung. „Schade, dass sie das nicht verstehen.“