Hamburg. Mit der Elbphilharmonie soll Hamburg endgültig zu einer Musikstadt werden. Doch dafür braucht man mehr als ein neues Konzerthaus

Im Hinblick auf die Elbphilharmonie hat Olaf Scholz ein klares Ziel formuliert. Jedes Kind dieser Stadt soll – wie Hamburgs Bürgermeister seit Jahren unermüdlich wiederholt – mindestens einmal während seiner Schulzeit im neuen Konzerthaus gewesen sein. Eine Ansage mit Botschaft: Das kostbare Gebäude ist nicht als Elfenbeinturm für Auserwählte, sondern als Haus für alle gedacht.

Ein ehrenwerter Plan, keine Frage. Aber er reicht bei Weitem nicht aus, um junge Menschen für den Inhalt des Hauses – überwiegend klassische ­Musik – zu entflammen. Darüber ­waren sich die Teilnehmer des Symposiums „The Art of Music Education“ unisono einig.

Seit 2008 lädt die Körber-Stiftung alle zwei Jahre Intendanten, Dramaturgen, Wissenschaftler und andere Fachmenschen zum Branchentreff über die Kunst der Musikvermittlung ins Körberforum; diesmal konnten (endlich) auch Hamburger Musiklehrerinnen und –lehrer am Kongress teilnehmen. Und die sahen Scholz’ Idee mehrheitlich eher kritisch. „Bei manchen meiner Schüler, die zu dieser Art von Musik keinen Bezug haben, würde so ein Konzertbesuch wahrscheinlich eher Widerstände als Begeisterung ­wecken“, mahnte etwa Tina Köhn von der Max-Brauer-Schule in Altona.

Eine einmalige Stippvisite in einem Konzerthaus bringt für sich genommen wenig, darüber sind sich die meisten Pädagogen einig. Das lässt sich auch empirisch untermauern, wie der Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer ­erläuterte. Zierer hat die vielzitierte Bildungsstudie von John Hatty aus­gewertet. In dieser Studie wird auch die Wirkung dessen untersucht, was im charmanten Behördendeutsch „außerschulische Lernorte“ heißt. Zierers ­Fazit: „Ob Lernorte wirken können, hängt immer von der Interaktion der Menschen ab.“

Ohne eine gute Kommunikation wäre auch der schönste Konzertbesuch sinnlos. Nun gibt es heute ein breites Angebot an professioneller Musikvermittlung. Die meisten Klassik-Anbieter nehmen die Aufgabe mittlerweile sehr ernst und locken mit spannenden Programmen, auch in Hamburg: Das NDR Sinfonieorchester brachte mit dem Dvorak-Experiment im vergangenen Jahr die Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ als multimediales Erlebnis in die Klassenzimmer, Staatsoper und Philharmoniker haben ebenso ein eigenes Education-Angebot wie die Hamburger Symphoniker, die Camerata, das Ensemble Resonanz und die Elbphilharmonie, die ihr musikpädagogisches Programm zur Eröffnung im kommenden Jahr von bisher 50 auf 1500 ausweiten will.

Zu den beliebtesten Nachwuchs­reihen der Elbphilharmonie Konzerte gehört die „ZukunftsMusik“, die den Hamburger Schülerinnen und Schülern zusätzlich zum Konzertbesuch die Möglichkeit zur Begegnung mit Klassik-Stars eröffnet – sei es in Instrumental-Workshops, bei Probenbesuchen oder exklusiven Gesprächen. Dieses Angebot wird von vielen Schulen genutzt, wirft aber gleichzeitig neue Fragen auf, wie die Musiklehrerin Gesine Mielitz vom Heinrich-Heine-Gymnasium in Poppenbüttel beim Symposium erklärte. „Es funktioniert wunderbar, wenn es gelingt, zu den Künstlern eine Beziehung aufzubauen. Dann haben Siebtklässler Lust, bis halb elf im Konzert zu sitzen. Als wir den Cellisten Gautier Capuçon zu Gast hatten, wollten alle ein Autogramm von ihm und haben dann auch konzentriert bei einer Rachmaninow-Sonate zugehört. Das sind Sternstunden! Aber es kann auch schnell verpuffen. Denn am nächsten Tag ist nicht mehr Capuçon in der Schule, sondern nur noch die Musiklehrerin. Da wird es dann schwieriger.“

Es geht also um Nachhaltigkeit. Ein zentrales Thema für Musik- und Kulturvermittlung, mit dem die Konzertveranstalter erst nach und nach warm werden. Manche von ihnen haben die Aufgabe der Konzertpädagogik lange Zeit ausschließlich darin gesehen, das Publikum von morgen zu generieren, um die Konzertsäle voll zu kriegen. Dieses legitime Interesse spielt noch immer eine zentrale Rolle – doch damit ist es längst nicht mehr getan.

Heute geht es um die Verankerung von Musik und Kultur in einer Gesellschaft, in der die Vielfalt an realen, ­medialen und virtuellen Angeboten ein immer wilderes Gemetzel um Aufmerksamkeit nach sich zieht. Inmitten dieses Dauerfeuers aus neuen Reizen und unendlichen Möglichkeiten, junge Menschen zu motivieren, sich auch die Reichtümer der „klassischen“ Musik zu erschließen, ist eine Mammutaufgabe.

Die können die Bildungs- und Kulturinstitutionen nur im Schulterschluss stemmen. Dafür braucht es ­gemeinsame Projekte und echte Zusammenarbeit. Der Wunsch nach einem Teamwork auf Augenhöhe wurde von vielen Teilnehmern des Symposiums artikuliert. Auch hier gilt die ­Erkenntnis der Hatty-Studie: Die besten Methoden und Konzepte helfen nicht, wenn die Interaktion nicht stimmt. Ohne einen guten Kontakt zwischen Lernenden und Lehrenden funktioniert kein Unterricht, gerade in der Musikvermittlung sind charismatische Persönlichkeiten gefragt.

Unter den Hamburger Musiklehrern und -lehrerinnen gibt es – das war beim Symposium deutlich zu spüren – viele dieser Persönlichkeiten mit der Gabe, andere Menschen für die Sache zu begeistern. Aber dafür muss man ­ihnen auch Raum und Zeit geben. Da hakt es oft, das ist ein ganz entscheidendes Hindernis. Viele kulturorientierte Projekte lassen sich eben nicht in das enge Raster des normalen Stundenplans pressen.

Die Lehrerin Astrid Demattia, die am Luruper Goethe-Gymnasium seit Jahrzehnten Schüler für Musik begeistert, formuliert deshalb einen eindringlichen Appell: „Musikalische Projekte sind extrem wichtig und bereichernd für die Schüler. Wer die Education-Arbeit der Elbphilharmonie massiv ausweitet und viele Schüler ins Konzert bringen will, kann doch nicht gleichzeitig die Schulen dafür anprangern, wenn Unterrichtsstunden zugunsten musikalischer Projekte ausfallen. Das passt einfach nicht zusammen.“