Hamburg. Der Schauspieler Gustav Peter Wöhler ist auch als Sänger eine Attraktion. Ein Gespräch über Lampenfieber und (Heil-)Kraft der Bühne.

Gustav Peter Wöhler wirkt ein wenig müde, als er gegen Mittag das Foyer des Hotels Atlantic betritt. Am Morgen musste er früh raus, hat schon eine Lesung im Rathaus hinter sich. Doch ein stilles Wasser und ein paar Knabbernüsse später ist das Energielevel wieder hoch und er voll im Thema. Es geht um Musik, um seine Lieblingslieder, die er am 20. Februar und dann noch einmal am 1. September in der Laeiszhalle singen wird. Um Sängerin Joni Mitchell, deren Oeuvre er so sehr liebt. Um seinen Mann, Filmfest-Chef Albert Wiederspiel, dessen Faible für Chansons er nur bedingt teilt. Und um seinen ersten LSD-Trip, den Wöhler, der in diesem Jahr seinem 60. Geburtstag feiern wird, mit der Klaviermusik von Keith Jarrett untermalte.

Hamburger Abendblatt: Ihre Konzerte wirken manchmal wie besonders gelungene Parties mit alten Freunden, bei denen man sich zu später Stunde an die Lieblingssongs von damals erinnert. Suchen Sie selbst aus, was Erinnerungswert hat und deshalb auf die Bühne kommt?

Gustav Peter Wöhler: Nein, die Auswahl erfolgt innerhalb der Band sehr demokratisch. Wir gehen zusammen essen und überlegen: Welche Songs hatten wir noch nicht, welche wollten wir schon immer mal spielen? Danach sind dann 40 bis 50 Lieder festgelegt, wir beginnen zu proben und zu sieben. Manchmal legen wir auch einen Song an die Seite und kommen Monate später darauf noch einmal zurück.

Sie hauen also nie auf den Tisch und sagen: Den will ich, den machen wir jetzt?

Wöhler: Nein, manchmal hätte ich’s gerne so, aber mein Mann sagt immer, ich sei zu feige, was vermutlich stimmt. Ich scheue mich, den Konflikt auszuhalten, die Pfeile, die die anderen Musiker auf mich schießen würden, abzuwehren beziehungsweise mich auch mal treffen zu lassen.

Feige? Auf der Bühne wirken sie eher mutig. Unverwüstlich.

Wöhler: Das ist etwas ganz anderes. Auf der Bühne nehme ich mich als Gustav Peter Wöhler nicht mehr wichtig. Ich passe nicht mehr so auf und mache mir keine Gedanken darüber, wie etwas ankommt, ob jemand etwas gut oder schlecht findet.

Kein Lampenfieber?

Wöhler: Doch, das Lampenfieber ist immer da. Selbst vor einer Lesung, bei der man ja gar nicht viel falsch machen kann. Die halbe Stunde vor dem Auftritt ist hart, aber 20 Sekunden auf der Bühne und alles ist wie weggeblasen.

Sie gehen ja auf der Bühne sehr aus sich heraus, sind eine richtige Rampensau. Ist Ihnen nichts peinlich?

Wöhler: Während ich auftrete nicht, aber manchmal kommt es vor, dass ich am nächsten Tag zuhause sitze und grübele, ob ich mich vielleicht ein bisschen zu sehr entblößt habe. Es gibt Tage, an denen komme ich in die Konzerthalle und will das alles nicht. Es gab Stress zuhause oder mit der Band oder mir geht es einfach nicht so gut. Aber spätestens nach drei Songs ist das alles weg! Nach dem Auftritt falle ich dann wie tot ins Bett, aber auf der Bühne funktioniert es.

Gab es auch schon Stücke, an denen Sie als Sänger gescheitert sind?

Wöhler: Ja klar. Ich liebe zum Beispiel „Don’t you remember“ von Adele, hatte es der Band vorgeschlagen und alle waren begeistert. Aber als ich mir dann die Proberaumaufnahme anhörte, wusste ich: Das kann man nicht machen, das ist eine Unverschämtheit. Ein anderes Beispiel: Wir haben mal „She“ von Charles Aznavour gemacht, das war der blanke Horror. Ich konnte das einfach nicht.

Klingt so, als sei die Musik – vielleicht noch mehr als die Schauspielerei – für Sie eine Herzensangelegenheit ...

Wöhler: Die Musik hat mich auf der Schauspielschule gerettet. Beim Vorsprechen fanden mich die Lehrer „nicht wirklich schlüssig“, wie es damals hieß. Aber dann bekam ich vier Musikstücke, darunter „Take 5“ von Dave Brubeck und die Musik aus „Schwanensee“ und sollte dazu improvisieren. Das lief so gut, dass sie mich dann doch genommen haben. Und heute gilt: Wenn die Musik läuft, vergesse ich sogar meine Arthrose. Adrenalin ist eben das beste Schmerzmittel.

Und auch eine Art Zeitmaschine, die Erinnerungen wachruft?

Wöhler: Klar. Wir spielen bei Konzerten ja immer „Your Song“ von Elton John. Wenn ich dieses Lied höre oder selbst singe, sehe ich mich wieder mit 14 Jahren in meinem Zimmer auf dem Fensterbrett sitzen. Ich muss nicht einmal die Augen schließen, es ist alles sofort da: die ganzen Gefühle von damals, das Traurige, das Schöne, das Glückliche, die Sehnsucht, die Hoffnung.

Sind bei Ihnen zuhause die CDs eigentlich sortiert? Nach Erinnerungswert, nach Genres oder alphabetisch?

Wöhler: Die waren mal sortiert, als mein Mann und ich umgezogen sind, inzwischen ist alles wieder durcheinander. Wir haben übrigens einen ziemlich unterschiedlichen Musikgeschmack: Albert ist ein großer Chanson-Liebhaber und manchmal hört er Sachen, bei denen ich rauslaufe. Aber jetzt waren wir im Urlaub auf den Azoren, und da lief in einem Lokal eine wunderbare Version von Joni Mitchells „A Case Of You“. Stellte sich dann raus, dass die von der portugiesischen Fado-Sängerin Ana Moura ist. Auf dem Flughafen haben wir gleich ihre sämtlichen CDs gekauft.

Und wie sieht es bei Ihnen mit Platten, also Vinyl, aus? Als sie mit 14 Elton John hörten, gab es ja noch keine CDs ...

Wöhler: Die Platten hab ich leider verkauft, als es mir mal finanziell nicht so gut ging. Grand Funk Railroad, Joni Mitchell, Van Morrison, David Bowie, die Beatles, die Stones, so was. Mit meinem Neckermann-Kassettenrekorder hatte ich die vorher alle aufgenommen und dann zum Flohmarkt getragen. Auch Keith Jarretts „Bremen Lausanne“ war dabei.

Ein schönes Album ...

Wöhler: Oh ja, und der Soundtrack zu meinem ersten LSD-Trip. 1976 muss das gewesen sein, zusammen mit Freunden in Herford. Bei mir zu Hause haben wir diese Platte aufgelegt, und auf meiner weißen Raufaserwand lief das wunderbarste Farbspektakel ab.

Sie singen, tanzen, schauspielern. Gibt es auch etwas, das Sie nicht können?

Wöhler: Mir ist schon mehrmals angetragen worden, ein Buch zu schreiben. Ich kann das aber nicht. Vielleicht bin ich zu selbstkritisch, wahrscheinlich fehlt mir dafür schlicht das Talent. Ich bewundere einen Kollegen wie Joachim Meyerhoff, der fantastisch schreiben kann. Bei mir würde ich erwarten, dass es auf dem Niveau von Peter Handke ist, das wird nix. Ich kann nur Tagebuch.

Schreiben Sie das immer noch?

Wöhler: Ja. Ich habe mit zwölf angefangen und bis heute beinahe durchgeschrieben. Inzwischen sind viele Kladden gefüllt, und ich bewahre die auch alle auf. Nicht weil ich hoffe, dass die nach meinem Tod veröffentlicht werden (lacht), aber ich blättere manchmal gern darin. Es gibt Phasen, in denen ich antriebslos oder melancholisch bin. Wenn ich dann in alten Tagebüchern lese oder neue Einträge schreibe, finde ich da wieder raus. Das ist eine Art von Befreiung, wie Meditation.

Stichwort Meditation: Haben Sie durch Ihre Rolle in Doris Dörries Film „Erleuchtung garantiert“ damit begonnen?

Wöhler: Nein, schon viel früher. Und ich meditiere immer noch, aber wegen der Arthrose häufig im Liegen. Die Meditation ist längst Teil meines Alltags geworden, sie gehört einfach dazu.

Sie sind also ein spiritueller Mensch?

Wöhler: Schon. Aber kein Esoteriker. Ich war mal bei einer Aura-Leserin, die mir sagte: „Oh, sie haben eine ganz alte Seele, dies ist schon ihr neunzehntes Leben, sie waren mal Hofnarr an einem Königshof.“ Und ich dachte nur: Was erzählt die mir denn da? Schon klar: Alle waren mal Priester im alten Ägypten oder edle Prinzen. Niemand einfach ‘ne Ratte. Was für ein Quatsch.

Gustav Peter Wöhler & Band Konzerte: Sa 20.2., 20.00, und Do 1.9., 20.00, Laeiszhalle, Karten von 17,70 bis 61,70 Euro unter der HA-Tickethotline T. 30 30 98 98 und in den HA-Ticketshops Das Wöhler-Album „Shake a Little“ erscheint am 11. März bei Trocadero/Indigo