Hamburg. Das tschechische Collegium 1704 zu Gast mit Händel und Telemann

Es liegt nicht an den Bässen und auch nicht an den Bratschen. Es stehen zwar zwei Kontrabässe auf der Bühne der Laeiszhalle, und die Bratschen sind zu viert, das ist für ein Barockensemble eine unüblich große Besetzung. Aber die federnde Kraft, die unerhörte Kontur des Klangbilds, die verdanken sich nicht allein der ­Anzahl der Spieler oder schnöden Phonzahlen. Wie nur bringen es das Collegium 1704 und das Collegium Vocale 1704 fertig, ihr bürgerliches Publikum einen Abend lang unter Strom zu setzen, Szenenapplaus zwischen den Sätzen (in Klassikkonzerten sonst strengstens verpönt) inbegriffen?

Der Duktus muss halt stimmen. Oder sollte es nicht besser Groove heißen? Václav Luks, der mit seinen ­Ensembles für die Reihe „NDR Das ­Alte Werk“ aus Prag angereist ist, macht jedenfalls nicht den Eindruck, sich von Genregrenzen beeindrucken zu lassen. Uneitel wirkt er, ja beinahe linkisch, und erzeugt doch mit seinen Gesten vom ersten Einsatz an eine unglaubliche Spannung.

Kriege und Naturkatastrophen stehen im Zentrum des Abends. Händel komponierte sein „Utrechter Te Deum“ 1713 nach dem Friedensschluss von ­Utrecht. Staatsauftrag Ihrer Majestät der Königin von England. Entsprechend leuchtend setzen die Streicher ihre ersten Akkorde, das schon, aber sie wenden sich sogleich ins Piano, als wollten sie sagen, da sind menschliche Seelen beteiligt, und die haben einiges erleiden müssen. Mag der Text auch noch so sehr von Lobpreisung und Ewigkeit und Herrlichkeit handeln, Händel pickt sich zielsicher Begriffe wie „Märtyrer“ oder „Tröster“ heraus und kontrastiert all die klingende Prachtentfaltung mit den ergreifend­sten Klagetönen, die sich denken lassen

Luks und die Seinen loten all diese Seelenwinkel aus. Fokussiert im Klang singt der Chor und textverständlich. Die hervorragenden Solisten treten ­jeweils aus dem Chor heraus und fügen sich mühelos wieder ins Tutti ein oder auch in die berückend intimen ­Ensembles. Manchmal gehen sie freilich unter im Orchesterklang.

Wie anders Händels Kantate „Donna, che in ciel di tanta luce splendi“. Eine Mini-Oper von vielleicht 20 ­Minuten Dauer geht da über die Bühne, mit sprühend virtuoser Orchestereinleitung, Rezitativen und Arien, die nach bewährtem Muster zwischen akrobatisch und tieftraurig wechseln. Die Mezzosopranistin Ann Hallenberg ­bewältigt dieses Spektrum an Anforderungen souverän, nur hin und wieder intoniert sie etwas matt oder beult ihr Vibrato ein wenig zu sehr aus.

Telemanns „Donnerode“ trägt ihre Bildhaftigkeit schon im Titel. Komponiert im Gedenken an das Lissabonner Erdbeben von 1755, lässt das Werk mal Blitze in den Geigen zucken oder die Bässe so zwischen Moll und Dur changieren, dass der Boden zu schwanken scheint. Und dagegen setzt Telemann, wie sein Kollege Händel, die schönsten Lamenti. Was für einen Atem findet Luks für die Musik!

Was für ein Abend. Und ganz ohne Anleihen beim Zeitgeist.