Hamburg. Am Thalia Gaußstraße zeigte Luk Perceval seine Interpretation von James Joyces „Verbannte“ als kühle Familienaufstellung.

Ewige Zweisamkeit ist eine schöne romantische Vorstellung. Dass sie nur wenige auf Dauer erfüllen, ist hinlänglich bekannt. Wer jedoch länger als zwei Sekunden in die treuen Dackel­augen in Katrin Bracks Bühnenbild einer überdimensional großen Hundefigur schaut, ist für jede moderne Skepsis verloren. Diese vier Menschen auf der Bühne aber sind aus dem Paradies der Liebe verbannt.

Isoliert stehen sie herum, die Körper wie in die Gegend gestellte Fragezeichen. Luk Perceval hat das Stück „Verbannte“, im Original „Exiles“ und das einzige Theaterstück des großen Iren James Joyce, im Thalia in der Gaußstraße zu einer puristischen Theaterinstallation verdichtet. Alles Überflüssige ist eliminiert. Alter, Biografien, die vier herausragenden Darsteller, darunter drei Ensemble-Neu­zugänge, verhandeln einzig und allein das Spiel aus Anziehung und Abstoßung und seine Fallstricke.

Joyce spielt mit zwei einander überlagernden Dreiecksbeziehungen. Da ist der Schriftsteller Richard, von Stephan Bissmeier als Grandseigneur mit Hang zu steifer Haltung gegeben, unschwer als Alter Ego des Autors zu erkennen. Er liebt Bertha, naja, vielleicht nicht mehr ganz so, und findet in der jungen Beatrice eine Muse. Sylvana Krappatsch als Bertha ist der willkommene Vulkan in dieser reduzierten Kargheit. Sie grimassiert, bellt und plärrt, dass es die reinste Freude ist. ­Ihrerseits verfällt sie den Verführungen des Journalisten Robert, wiederum der Cousin von Beatrice, mit dem diese eine verbotene amouröse Vergangenheit teilt. Beide ziehen Richard und Bertha in ihre Jagd nach Begehren hinein. Die schräge weiße Linie, hinter der der Jazz-Musiker Dine Doneff über seinem Kontrabass hängend Störgeräusche aussendet, erscheint wie eine Demarkationslinie des Glücks.

In der zweiten Dreiecksgeschichte ist es Robert, sehr körperlich und mit anrührender Verzweiflung gespielt von Kristof Van Boven, der seinen Gefühlen Luft verschafft. Während Beatrice bei Marie Jung im rosa Unschuldskleid mit eisiger Klarheit ins Publikum blickt und ihre Gedanken zu Liebe, Tod, Besitz ohne jede tiefere Gefühlsregung formuliert. Der enttäuschte Robert entflammt für Bertha, die leider mit seinem Freund Richard liiert ist. Beatrice wiederum in all ihrer Prinzessinnenhaftigkeit wird zum Quell der In­spiration für Richard, der sie für sein Buch nutzt. „Möchtest du es lesen?“, fragt er sie. „Selbst wenn das, was du da fändest, manchmal grausam ist?“

Die volle, ungebremste Wahrheit erträgt ja kaum ein Mensch. Vor allem wenn es um Liebesdinge geht. Keiner wusste das so genau wie James Joyce, der hier freimütig sein Leben und das seiner Langzeitliebe Nora Barnacle plündert. Und auch Luk Perceval, dieser feinsinnige Menschenkenner, weiß darum. Der Schmerz bleibt Niemandem erspart, da kann man noch so libertäre Beziehungsmodelle vor sich hertragen. Robert, der sich in grotesken Balztänzen auf die Bühne wirft, später bis auf die Unterhose entblößt, steigert sich in einen gänzlich unpathetischen „Ich liebe sie“-Gesang hinein. Umgekehrt beißt sich Bertha am sturen Richard die Zähne aus.

Es ist ein durchaus zähes, in seiner Verkrampfung aber auch elegantes Ringen um Nähe, Distanz, Besitzdenken und Freiheitslust – bevor die verdammte Eifersucht aufkreuzt. „Wegnehmen kannst du sie mir nicht, ich besitze sie nicht“, sagt Richard zu Robert. Doch diesen Nihilismus kauft ihm nicht nur der Zuschauer nicht ab. „Du willst sie besitzen. Genauso wie ich. Das ist ein Naturgesetz“, sagt Robert. „Aber ist das Liebe?“, fragt Richard. „Was denn sonst?“, sagt Robert.

Am Ende bleiben Erschöpfte und Ausgelaugte zurück und stehen vor der Frage „Gehen oder Bleiben“. Und der Mensch ist eben doch ein Bindungstier, ein Dackelhund. Er will, er muss vertrauen. Den wohl wahrsten Satz des Abends sagt Robert: „Sei fröhlich, das Leben ist so kurz.“ Fröhlich ist diese Inszenierung nicht. Sie ist zuweilen statisch. Auf jeden Fall spröde. Ein paar Längen schleichen sich ein. Die Distanziertheit der Figuren verhindert jede Einfühlung, aber sonst wäre sie nicht auszuhalten. Aus all der Desillusionierung und Gefühlsunterdrückung schlägt der Abend ein paar umso heller glimmende Funken Spannung. Es bleibt eine abstrakte Liebesschlacht.

„Verbannte“ nächste Vorstellungen 7.1., 8.2., jew. 20.00, Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190, Karten zu 22 Euro unter T. 32 81 44 44;
www.thalia-theater.de