Hamburg. Alvis Hermanis lehnt das humanitäre Engagement des Theaters ab, man befinde sich „im Krieg“
Der renommierte lettische Regisseur Alvis Hermanis hat aus politischen Gründen eine für April 2016 verabredete Inszenierung am Thalia Theater in Hamburg abgesagt.
Hermanis kritisiere das humanitäre Engagement vieler deutscher Theater, so auch das des Thalias, für Flüchtlinge, und wolle damit nicht in Verbindung gebracht werden, erklärt das Theater selbst und zitiert in einer Mitteilung Hermanis im Konjunktiv: „Die deutsche Begeisterung, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, sei extrem gefährlich für ganz Europa, weil unter ihnen Terroristen seien. Und niemand könne die Guten von den Schlechten trennen. Eine gleichzeitige Unterstützung von Terroristen und den Pariser Opfern schließe sich aus. Zwar seien nicht alle Flüchtlinge Terroristen, aber alle Terroristen seien Flüchtlinge oder deren Kinder. Die Anschläge von Paris zeigten, dass wir mitten im Krieg seien. In jedem ,Krieg‘ müsse man sich für eine Seite entscheiden, er und das Thalia Theater stünden auf entgegengesetzten. Die Zeiten der political correctness seien vorbei.“
Thalia-Intendant Joachim Lux zeigt sich bedrückt und schockiert: „Ich bedaure die politisch begründete Absage von Alvis Hermanis, den ich als Künstler sehr schätze. Die Absage zeigt über den Einzelfall hinaus aufs Neue, wie tief Europa derzeit gespalten ist.“
Nicht nur das Thalia hat sich wiederholt künstlerisch mit der Flüchtlingsfrage auseinandergesetzt, auch Kampnagel und das Schauspielhaus beschäftigen sich mit dem Thema und leisten zum Teil sogar konkrete Hilfe. Im Malersaal-Foyer schlafen seit einer akuten Notsituation im Sommer noch immer jede Nacht Flüchtlinge. „Wir hätten nie für möglich gehalten, dass humanitäres Engagement für Hilfsbedürftige zur Aufkündigung der Zusammenarbeit führen könnte“, sagt Lux. Das Thalia sei ein „Ort des offenen gesellschaftlichen Diskurses“ und gebe dem „größtmöglichen politischen Spektrum Raum“. Hermanis veröffentlichte eine ausführliche Stellungnahme. Im Thalia-Spielplan soll das Stück „Späte Nachbarn“ aus „Respekt vor dem Werk von Alvis Hermanis“ weiter zu sehen sein, erklärte das Thalia.