Hamburg. Sonja Lahnstein-Kandel engagiert sich mit „Bridging the Gap“ für die Verständigung im Nahen Osten und gegen Vorurteile vor der Haustür

Was verbindet Menschen verschiedener Kulturen, wie kann man Vorurteile abbauen, Brücken zwischen Ethnien, Religionen, Ländern bauen? All dies versucht das palästinensisch-jüdische Kunstprogramm des Israel-Museums in Jerusalem mit „Bridging the Gap“ zu ermitteln. Den gleichen Namen führt auch eine Gesprächsreihe, bei der seit Jahren im Thalia Theater über praktische Verständigung zu Themen wie „Kann man Gewalt mit Gewalt bekämpfen?“ oder „Lieben wir das Deutsche?“, Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur diskutieren.

Zum zehnten Dialogabend am 1. Dezember tauschen sich nun junge Israelis und Deutsche sowie erfahrene Journalisten und Politiker über das Thema „Die Zukunft der Vergangenheit – Wie geht es weiter mit Deutschland und Israel?“ im Thalia Theater aus. Die Dialog-Reihe passe „hervorragend zur programmatischen Gesamtausrichtung des Thalia Theaters“ findet Intendant Joachim Lux. Eine interkulturelle und internationale Ausrichtung sei „in vielen Spielplanpositionen, in den Lessingtagen und der internationalen Gastspieltätigkeit“ spürbar. Darüber hinaus versteht sich das Thalia als Ort gesellschaftlicher Debatten. All das gehöre auch zum Selbstverständnis von „Bridging the Gap“, so Lux: „Die Reihe möchte Brücken bauen zwischen Kulturen und internationalen gesellschaftlichen Spannungsfeldern und den Blick über das rein nationalstaatliche hinaus weiten. Anders als andere Gesprächsforen sucht die Reihe nicht die Polarisierung, sondern will untersuchen, wie man zueinanderkommen könnte.“ Wir sprachen mit Sonja Lahnstein-Kandel, Vorstandsvorsitzende des „Vereins zur Förderung des Israel-Museums“ darüber, wie man junge Menschen erreicht, alte Klischees vergisst und neue Ideen wagt.

Hamburger Abendblatt: Beim „Bridging the Gap“-Programm machen jüdische und palästinensische Kinder im Israel ­Museum gemeinsam Kunst und lernen Vorurteile abzubauen. Was erzielt man damit?

Sonja Lahnstein-Kandel: Das Israel-Museum bringt alle Kulturen des Nahen Ostens zusammen und zeigt, wie sie sich gegenseitig befruchtet haben. Dort kommen seit 20 Jahren wöchentlich Kinder zusammen und lernen sich kennen. Sie wissen ansonsten wenig voneinander. Hier verlieren sie Ängste und Vorurteile, können sich auf Augenhöhe begegnen, traumatische Erfahrungen austauschen. Das verändert diese Kinder. Sie nähern sich an, bekommen einen anderen Blick auf Leben, Eltern, Geschwister, Freunde. So ein Programm multipliziert sich. Es bewirkt etwas. Es ist allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber wir wollen dafür Aufmerksamkeit und Unterstützung und haben deshalb die Gesprächsreihe gegründet. Wenn die menschliche Ebene nicht funktioniert, kann auch die politische Ebene nicht funktionieren.

Erreicht man nicht mit Dialogreihen, mit Veranstaltungen in Theatern und Museen, nur Menschen, die sowieso schon sensibilisiert sind und sich für solche Themen engagieren?

Lahnstein-Kandel: Auch mit Integrationsprogrammen für Flüchtlinge erreichen Sie nur diejenigen, die etwas wollen, etwas bewegen wollen. Aber die brauchen wir, denn was ist die Alternative? Nichts tun? Sicher nicht. Diejenigen, die sich bewegen wollen, brauchen Hilfe, Aufklärung. Heute transportiert sich sehr viel Wissen über Bilder, das Internet. Aber sich Zeit zu nehmen und mit einem Thema auseinanderzusetzen, ist etwas anderes, denn man lernt und begreift dabei, dass die Dinge sehr komplex sind. Und das ist schon mal der allererste Schritt. Natürlich muss man beispielsweise bei Rechtsradikalen zu deutlicheren Methoden greifen.

Intoleranz und Antisemitismus seien ein fester Bestandteil der Kulturen, aus denen die Flüchtlinge derzeit kämen, hat Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, kürzlich zu bedenken gegeben und wurde dafür kritisiert. Haben Sie auch die Befürchtung, dass sich der Antisemitismus hier verschärfen könnte?

Lahnstein-Kandel:Das ist eine schwierige Frage, die man differenziert betrachten muss. Die Gefahr besteht. Man muss sich dessen bewusst sein: Der Antisemitismus in Europa wächst, einer davon ist der islamistisch bedingte Antisemitismus. In Katar beispielsweise wird in der Schule gefeiert, wenn die Kinder Israel von der Karte ausradieren. In Ägypten wird in der Schule verbreitet, israelische Ärzte würden palästinensischen Kindern Organe entnehmen. Das ist aber auch Anti-Israelismus. Den gibt es bei uns auch, selbst in der Mitte der Gesellschaft. Und den muss man natürlich genauso bekämpfen wie Antisemitismus. Ich selbst kritisiere die Regierung Netanjahu und deren Siedlungspolitik, aber man kann nicht Israel das Existenzrecht nehmen. Die jungen Menschen in Palästina, die hoffentlich irgendwann ihren eigenen Staat erleben werden, sind perspektiv- und mutlos. Sie sind anfällig. Nicht nur wegen der israelischen Siedlungspolitik, sondern auch wegen ihrer eigenen korrupten und versagenden Regierungen. Doch wir erleben ja in Deutschland auch Antisemitismus durch Rechtsex­treme. Der war immer da, schon lange vor den Flüchtlingen.

Hat sich etwas verändert?

Lahnstein-Kandel: Es gibt mehrere Umfragen aus der jüngsten Zeit, aus denen hervorgeht, dass unter den Flüchtlingen Antisemitismus weit verbreitet ist. Fast jeder aus meinem gesamten Bekanntenkreis, auch die Theater und Orchester, engagieren sich in der einen oder anderen Weise für die Flüchtlinge. Das finde ich vorbildlich. Ich stelle aber fest, je länger es seitens unserer Politiker keinen Plan gibt, desto mehr nimmt die Lust am Ehrenamt ab. Ich habe für die Weltbank in Entwicklungsländern gearbeitet und weiß, dass Engagement gut gemanagt werden muss.

Was können wir in Hamburg noch tun, um aufzuklären?

Lahnstein-Kandel: 2015 ist ein besonderes Jahr, weil wir 70 Jahre der Befreiung Auschwitz’ feiern und 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Wir wollten für unsere Dialogreihe ältere und junge Menschen zusammenbringen, die nach vorne gucken. Hier kennt man viel zu viele Bilder von Gewalt, wenn von Israel die Rede ist. Es ist aber ein hochmodernes Land, die einzige Demokratie im Nahen Osten mit sehr viel kreativem Potenzial, in Musik, Kunst, Literatur, Technologie. Deutschland ist in Israel sehr populär. Man ist voller Bewunderung. Wir müssen über gemeinsame Projekte nachdenken. Unser Abend heißt auch, „Die Zukunft der Vergangenheit“, und es werden Deutsche mit arabischen und jüdischen Israelis über authentische Erfahrungen diskutieren. Das gibt es in Hamburg wirklich selten.

Bridging the Gap Thalia Theater, Alstertor (U/S Jungfernstieg), 20 Uhr, 15 Euro