Die Zuschauer haben im kommenden Jahr kein Mitspracherecht: Xavier Naidoo soll für Deutschland beim Eurovision Song Contest antreten.

Der Triumph von Lena scheint schon eine Ewigkeit zurückzuliegen. In diesem Jahr steht der Eurovision Song Contest für Deutschland bisher unter keinem guten Stern.

Erst sagt der unberechenbare Vorentscheid-Gewinner Andreas Kümmert vor 3,2 Millionen ARD-Zuschauern einfach mal eben: "Ich bin nicht wirklich in der Verfassung, diese Wahl anzunehmen." Es rückt Ann Sophie nach, singt ein solides, vielleicht zu steriles Jazzlied - und landet auf dem letzten Platz - Zero Points for Germany. Und jetzt das: Die ESC-Macher haben einen Aufschrei aus der Grand-Prix-Gemeinde am Hals. Dabei setzen sie doch nur auf einen der erfolgreichsten Stars. Oder?

Xavier Naidoo für Deutschland ins Rennen zu schicken, das ist ein echtes Wagnis. Ihn hat die ARD für 2016 in Stockholm auserkoren. Das hat sie für das Publikum schon mitentschieden. Der gewohnte deutsche Vorentscheid verschwindet von der Tagesordnung. Es scheint, als sehe der für den ESC zuständige Norddeutsche Rundfunk in dem Mannheimer Schmuse-Star, der sich einen "Echo" nach dem anderen ersungen hat, eine Art sichere Bank. Ob der Sender den Shitstorm im Netz unterschätzt, eingepreist oder gar still erhofft hat, darüber kann nur spekuliert werden. Man habe "einen der besten Sänger Deutschlands nominiert", stellt Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber heraus.

Xavier Naidoo spaltet Deutschland

Xavier Naidoo. Außer dem Schauspieler Til Schweiger gibt es kaum jemanden, der das Publikum so tief spaltet. Millionen Menschen lieben ihn, Millionen Menschen können ihn nicht ausstehen. Xavier Naidoo, das steht für esoterisch angehauchte Texte wie: "Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer/ Nicht mit vielen wirst du dir einig sein, doch dieses Leben bietet so viel mehr."

Xavier Naidoo, das steht aber auch für diesen Text: "Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist? Wo sind unsere Helfer, unsere starken Männer, wo sind unsere Führer, wo sind sie jetzt?" Der zweite Song wird im Gegensatz zum ersten nicht oft im Radio gespielt, gehört aber zu Naidoos Vergangenheit, der er sich wohl mehr denn je stellen muss. Die Vorwürfe, er sei schwulenfeindlich und politisch in schlechter Gesellschaft, sind nicht neu. Aber für einen Botschafter des deutschen Liedes im Ausland dürften die Maßstäbe höher liegen. Viele Schwule lieben den ESC.

Naidoo: "Mein Image war eh schon immer etwas verdreht"

"Sicher hat er - wie wir alle - nicht nur in jedem Moment alles richtig gemacht", stellt sich Schreiber vor den Star, der einst mit den Söhnen Mannheims bekannt wurde und später bei "The Voice of Germany" und "Sing meinen Song" im Fernsehen Millionen Menschen vor die Bildschirme zog. "Dass Xavier Naidoo polarisiert, wussten wir", sagte Schreiber. "Die Frage ist, ob alle Hassäußerungen, die es in den sozialen Netzwerken gibt, eine sachliche Grundlage haben. Zu den einzelnen Vorwürfen: Xavier Naidoo steht für Toleranz allen Lebensentwürfen gegenüber, die es in dieser Republik gibt."

Naidoo weiß, was viele von ihm halten. "Mein Image war eh schon immer etwas verdreht. Man bezeichnete mich als homophob, als esoterischen Spinner und als religiösen Fanatiker. All das bin ich genau so wenig wie rechtspopulistisch", sagte er dem "Stern". Kritiker halten ihm Auftritte bei den rechtspopulistischen sogenannten Reichsbürgern vor, die Deutschland nicht als souverän anerkennen. Dort sagte Naidoo Eigenartiges: "Seit dem (Terroranschlag am 11.) September 2001, das war der Warnschuss. (...) Wer das als Wahrheit hingenommen hat, was da erzählt wurde, der hat den Schleier vor den Augen, ganz einfach."

Naidoo gewann bereits den "goldenen Aluhut"

Ob er in Stockholm nun gewinnt oder nicht: Eine Auszeichnung kann ihm keiner nehmen. Eine Intiative verlieh ihm jüngst bereits den Preis "Der goldene Aluhut" für eine der irrsten Verschwörungstheorien im Netz. Und der Spott im Internet geht im Minutentakt weiter. Die Nutzerin Phine etwa schreibt: "Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber Helene Fischer wäre das weitaus kleinere Übel gewesen."

Die Stimmen auf Twitter und Facebook reagieren meist nicht positiv auf die Wahl. „Ein homophober Sänger mit kruden Vorstellungen von Nationalstaatlichkeit als Repräsentant beim Eurovision Song Contest? Lieber NDR, euch ist klar, dass ihr damit sowohl die deutschen Fans vor den Kopf stoßt als auch international einen der hintersten Plätze bucht? Sorry, wenn ich so deutlich werde, aber das ist ein Tritt ins Gesicht aller ESC-Fans“, schreibt Alexander Rösch auf der deutschen ESC-Facebook-Seite.

"Ich fühle mich sehr übergangen von der ARD"

„Ein Aprilscherz im November“, kommentiert Uwe Werner. „Wie kann Herr Naidoo für ein Land antreten, dass in seinen Augen gar kein "echtes Land" ist?“, findet Eva Stumm. Und Ralf Houven findet: „Dass er ein super Sänger ist, steht außer Zweifel. Aber wegen seiner Reichsbürger-Propaganda, seinem Schwulenhass und Sonstigem, was er von sich gibt, wenn er nicht singt, ist er als Vertreter Deutschlands beim ESC ein Griff ins Klo!"

Manche User sind aber auch auf der Seite von Xavier Naidoo. „Ich freu mich!!! Endlich kann ich mir den ESC nach Lena mal wieder anschauen“, schreibt Daniela Waschik. „Ich mag Stimme und Lieder von Xavier Naidoo, fühle mich aber sehr übergangen von der ARD. Es sollte weiterhin das Publikum entscheiden, wer zum Finale fährt“, kommentiert Nadja Sundmacher. „Warum tut er sich das an?“, fragt Stefan Mitterlehner.

Auch Schlagersänger Guildo Horn (52) hat kritisiert, dass der deutsche Teilnehmer am Eurovision Song Contest (ESC) 2016 nicht mit einem Wettbewerb bestimmt wird. „Nicht das Wichtigste in diesen Zeiten, aber mich nervt's trotzdem“, schrieb Horn, der 1998 beim ESC mit „Guildo hat euch lieb“ den siebten Platz belegte, auf Facebook. Für ihn sei der Song Contest „immer ein freier, demokratischer Wettbewerb“ und „offen für jeden“ gewesen. „Das Ganze wird doch von unseren GEZ-Gebühren bezahlt“, kritisierte der gebürtige Trierer, der 1998 beim ESC den siebten Platz geschafft hatte.

Naidoo wehrt sich gegen Vorwürfe

Doch Xavier Naidoo wehrt sich gegen Kritik an seiner Kür zum deutschen Teilnehmer des Eurovision Song Contest 2016. „Mit meinem ganzen Wesen stehe ich für ein weltoffenes und gastfreundliches Deutschland und einen respektvollen sowie friedlichen Umgang miteinander“, sagte der 44 Jahre alte Musiker laut einer NDR-Mitteilung vom Donnerstagabend.

Er sei froh, in einem „bunten“ Deutschland zu leben, mit einer Vielfalt an Lebensentwürfen und Religionen. „Ich habe auch immer betont, dass ich die Auffassung der sogenannten Reichsbürger nicht teile, von denen ich mich auch öffentlich deutlich distanziert habe.“ Im vergangenen Jahr hatte Naidoo am Tag der Deutschen Einheit eine Rede vor Reichsbürgern gehalten.

Er stehe für Meinungsfreiheit, erklärte er nun. „Es ist allerdings schade, dass Menschen, die mich ganz offensichtlich nicht kennen, aufgrund unzutreffender Darstellungen substanzlos und schlecht über mich reden.“