Hamburg. Er zog von Konflikt zu Konflikt und ging noch mit 87 auf Patrouille. Peter Scholl-Latours Autobiografie erscheint erst nach seinem Tod.
Die Zeit hat nur noch für den ersten Teil seiner Memoiren gereicht, in den Vorbereitungen für die Fortsetzung und Vollendung ist Peter Scholl-Latour im Jahr 2014 gestorben. Diesen zweiten Teil wird es nicht mehr geben. Aber schon der erste Teil gibt einen tiefen und aufschlussreichen und nicht zuletzt spannenden Einblick in Herkunft und Karriere dieses ungewöhnlichen Reporterlebens. So erfährt der Leser, dass die abenteuerliche Journalistenkarriere des in Bochum geborenen deutsch-französischen Grenzgängers Peter Scholl-Latour in einer Verhörzelle in Bautzen in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone im Nachkriegsdeutschland begann.
Leutnant Pierre Latour war als von den Franzosen entsandter „Kundschafter“ (also Spion) jenseits des Eisernen Vorhangs in der unmittelbaren Nachkriegszeit in die Fängen der russischen Besatzungsmacht geraten. Nur mit viel Glück und Geschick entkam er wieder nach West-Berlin in seine Wohnung im französischen Sektor.
Scholl-Latour war Spion – das fanden französische Medien exotisch
Die Berichte über seine damaligen Erlebnisse bot er französischen Zeitungen an, die das „exotisch“ fanden. Es waren seine ersten Artikel als Reporter, der bald danach als Fallschirmjäger im Indochinakrieg der Franzosen mit deren Debakel 1954 im vietnamesischen Dien Bien Phu seinen nächsten Einsatz hatte.
„Im Nachhinein sollte sich diese ostdeutsche Eskapade als Ausgangspunkt meines professionellen Lebens erweisen ... obwohl ich damals gar nicht daran dachte, Journalist zu werden“, schreibt Scholl-Latour in seinen unvollendeten Memoiren („Mein Leben“, C. Bertelsmann). Es sind erstaunlich detailreiche Erinnerungen an Kindheit und Jugend zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz und an ein langes und abenteuerliches Reporterleben auf den Kriegsschauplätzen und Krisenherden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts - mit 87 Jahren nahm er noch an einer Patrouille der Bundeswehr südlich von Kundus in Afghanistan teil.
Unstillbare Neugier machte einen rasenden Reporter aus ihm
Es war sein Hang zum Abenteuer „gepaart mit ausgeprägtem Selbsterhaltungstrieb“, wie er rückblickend meinte. Man habe dafür den Ausdruck „das abenteuerliche Herz“ geprägt, ein „unentwegtes Vagantentum“ mit einer unstillbaren Neugier gepaart mit der Freude am Wagnis, „das Suchen nach jenen 'émotions fortes'“ (starken Gefühlen), „die mir bis ins hohe Alter erhalten blieben und meinem Leben einen Sinn gaben“.
Peter Scholl-Latour war noch der klassische Vertreter des „rasenden Reporters“ durch die Weltgeschichte als Chronist und Erklärer auch unbequemer Tatsachen („Ich belehre nicht, ich erzähle“), wie ihn vor dem Krieg Egon Erwin Kisch verkörpert hat. Seine Texte für die Zeitungen, bevor er Hörfunk- und TV-Korrespondent wurde, schrieb er lange Jahre noch mitten im Dschungel oder in der Wüste auf einer Reiseschreibmaschine, die er per Einschreiben von einsamen Postämtern in abgelegenen Orten im tiefen Afrika abschickte. „So unglaublich das klingt – keiner dieser zahllosen Beiträge ging verloren.“
Er schrieb 30 Bücher, aber bei seiner Autobiografie zögerte er
Angefangen hatte alles als junge Leseratte mit den Orientabenteuern von Karl May sowie den Reiseberichten des Entdeckers James Cook. Später sollte Scholl-Latour dann selber mehr als 30 Bücher schreiben, und er meinte dann auch, dass er mit diesen Büchern die Niederschrift seiner „Memoiren“ eigentlich längst begonnen habe. Das gilt nun vor allem für die späteren Jahre als Gefangener des Vietcong oder Fluggefährte des Ajatollah Khomeini bei der Rückkehr aus dem Exil nach Teheran - und natürlich für Afghanistan und Irak, die im zweiten Teil seiner Memoiren ihren Niederschlag finden sollten.
Über die Vorbereitung zu den „Memoiren zweiter Teil“ ist Scholl-Latour gestorben, auch weil er sich zu lange gesträubt hatte, die Memoiren überhaupt zu beginnen und damit den befürchteten „Schlussstrich“ zu ziehen. So müssen die heutigen Leser auf seine Bestseller und Klassiker wie „Der Tod im Reisfeld“ oder „Allah, Blut und Öl“ zurückgreifen.
Scholl-Latour reiste von Krieg zu Krieg
Die jetzt vorliegenden Erinnerungen geben aber auch einen aufschlussreichen Einblick in die Jugend und Schulzeit Scholl-Latours und seine frühen Prägungen zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz, wo er ein Jesuiten-Internat besuchte. Einen großen Raum nehmen in Scholl-Latours Memoiren seine Erinnerungen an den Algerienkrieg der Franzosen ein, der 1962 mit der Unabhängigkeit der einstigen Kolonie endete, die von dem damaligen General und französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle gegen massiven Widerstand in den eigenen Reihen und vor allem im Militär vorangetrieben wurde. Frankreich war am Ende mit einer halben Million Soldaten in Nordafrika, wo auch andere Länder wie Tunesien und Marokko zu den Kolonien gehörte, aktiv.
Aber wie später im Vietnamkrieg der Amerikaner war das Massenaufgebot des technologisch hochgerüsteten Militärapparates einem Guerillakrieg nicht gewachsen, weil der klar erkennbare Gegner fehlte und, wie Scholl-Latour betont, Amerikaner wie Franzosen sich nie wirklich für die Mentalitäten und Kulturen der einheimischen Bevölkerung interessierten. Die psychologische Einfühlung in die Mentalität des Gegners sei Voraussetzung für eine erfolgreiche Partisanenbekämpfung, und die richtige politische Analyse habe sich auf Dauer als wichtiger als die Überlegenheit der eigenen Waffen erwiesen. Und eins sei auch klar: „Heute lässt sich kein Krieg mehr gewinnen.“
Er sei von Krieg zu Krieg gereist und habe versucht, in aller Ehrlichkeit darüber zu berichten. Dabei habe ihn oft die Torheit der Regierenden erbost und ihre Flucht aus der Verantwortung, „ob sie nun in Paris, in Washington, in Moskau, London oder Berlin saßen“. Die Überheblichkeit der vermeintlich „entwickelten Länder“ sollte sich später in Angst vor allem Fremden umkehren und zu neuer Fremdenfeindlichkeit bis in die heutigen Tage führen. „Wann werdet ihr Weißen endlich begreifen, was in Afrika vorgeht?“ sagte ein Kongolese einmal zu Scholl-Latour.
Peter Scholl-Latour: Mein Leben, C. Bertelsmann Verlag, München, 445 Seiten, 24,99 Euro