Hamburg. Es bleibt in der Familie: Mathieu Carrière und sein Cousin Justus Carrière spielen erstmals gemeinsam an den Hamburger Kammerspielen.
Die Probebühne der Hamburger Kammerspiele liegt in einem kirchlichen Gemeindezentrum am Schlump. Der drahtige Mathieu Carrière, 65, hüllt sich in einen wattierten Mantel und trägt eine Hundeleine um den Hals. Die tiefen Denkerfalten geben ihm einen leicht genervten Ausdruck. Entspannt wirkt dagegen sein Cousin Justus Carrière, 59. Beide Schauspieler kommen aus einer Familie und könnten doch verschiedener nicht sein. Derzeit proben sie für die Wiederaufnahme von Eric Assous’ Komödie „Unsere Frauen“ in der Regie von Jean-Claude Berutti am 14. Oktober in den Kammerspielen.
Viele Jahre über hatten sie kaum Kontakt. Erst der Tod von Mathieu Carrières Vater führte sie vor einigen Jahren zusammen. An diesem Nachmittag scheint es, als treffen diese beiden Männer sich zum ersten Mal. „Man kann sich im Theater in zwei Wochen besser kennenlernen als in 20 Jahren im Leben“, sagt Mathieu Carrière. „Man weiß sonst nie, was im Leben der Menschen vorgeht, seien es die eigenen Kinder oder die Intimpartner. Im Theater merkt man es.“ Sein Cousin stimmt lächelnd zu. „Wir sind neugierig aufeinander, und das ist interessant, überraschend.“
Justus Carrière ist eher der Typ geerdeter Künstler. Geboren in Schwerin, ausgebildet an der renommierten Ernst Busch Schule in Ost-Berlin, Ensemblemitglied an der Volksbühne Berlin, später am Hamburger Thalia Theater, Teil des „Faust“-Ensembles von Peter Stein, gelegentliche Fernsehkrimiauftritte. „Für mich ist der Bühnenraum der dichteste, wo ich am freiesten leben kann. Wo wir als Schauspieler tatsächlich zur Begegnung kommen. Daher ist es mein Zuhause“, sagt Justus Carrière. Es bot auch einen Freiraum in Zeiten der Unfreiheit. „Ich wollte schreien. Das war die Nische, wo ich brüllen konnte. Da durfte man ganz Mensch sein. Die Schauspieler waren freiere Persönlichkeiten als man sie auf der Straße traf.“
Auf der anderen Seite das Gesamtkunstwerk Mathieu Carrière, Schauspieler, Philosoph und Skandalmaschine. Da ist sein früher Ruhm, als er als Wunderkind des Films gehandelt wurde und an der Seite von Göttinnen wie Isabelle Huppert und Romy Schneider große europäische Arthousefilme von Werner Schroeters „Malina“ bis zu Jacques Rouffios „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“ drehte.
Später dann entdeckte er das Fernsehen. Und das Fernsehen ihn für die ganz harten Fälle. Wenn er auftauchte, wusste man, der Täter ist gefunden. In dem Köln-Tatort „Manila“ zum Thema Kinderprostitution spielte er eine Rolle, die drei Kollegen zuvor abgelehnt hatten. Sehenswert war er irgendwie immer. „Hitler würde ich nicht spielen. Das ist einfach langweilig. Genau wie Jesus, da weiß man, wie es ausgeht“, sagt Carrière. In Frankreich habe er die jugendlichen Liebhaber gespielt, in Deutschland pädophile SS-Offiziere und in Italien indische Maharadschas. Das hänge ja auch vom Publikum ab. „Man kann es sich nicht aussuchen.“ Zuletzt suchte er sich zunehmend Sedimente des deutschen Unterhaltungsfernsehens aus, die Telenovela „Anna und die Liebe“, das Showformat „Let’s Dance“ und das letzte Refugium der finanziell und künstlerisch Verzweifelten, das „Dschungelcamp“.
Wie passt das mit einem studierten Philosophen und anerkannten Filmakteur von Schlöndorff und Rohmer zusammen? „Nein. Das passt nicht zusammen“, sagt Carrière freimütig. „Aber ich habe keine Berührungsängste. Unser Job besteht darin, dem Publikum Emotionen zu ermöglichen. Da sind alle Formate gleichberechtigt.“ Außerdem könne er schwer Nein sagen.
Er beherrscht das Maskenspiel der Unterhaltungsbranche. „Mathieus Leben ist mir ein völliges Rätsel“, sagt Justus Carrière grinsend. Jetzt staune er schon nicht mehr ganz so. „Das ist alles völlig harmlos. Er ist lebensgierig, und das ist doch geil.“ Mathieu Carrière ist umgekehrt voll aufrichtiger Bewunderung für seinen Cousin. „Als Ernst-Busch-Absolvent ist er uns hundertfach überlegen. Da geht es nicht ums Nacherleben, sondern es geht ums Machen“, sagt er und haut mit Nachdruck auf den Tisch. „Ich bin ganz spät zum Theater gekommen, weil ich immer Angst davor hatte. Es war mir immer zu indiskret. Ich musste ein ganz neues Instrument lernen.“ Seit zwei Jahren hat er großen Spaß daran. „Die Situation diktiert mir das Spiel und nicht die Figur“, sagt Justus Carrière. „Wir haben ja eine Beziehung. In dieser Komödie steckt aberwitziger Humor. Perlende Dialoge. Das können die Franzosen einfach besser.“
Zehn Tage haben die beiden nun Zeit, mit Regisseur Jean-Claude Berutti „Unsere Frauen“ zu proben. Die Inszenierung über drei langjährige Freunde, von denen einer betrunken beim Skatabend aufläuft und behauptet, seine Freundin gemeuchelt zu haben, war in der ersten Version schon ein Publikumserfolg. Nun soll sie noch besser werden. „Die drei Freunde belügen sich von Anfang an, obwohl sie sich 30 Jahre kennen“, sagt Mathieu Carrière. Mit Justus Carrière, der die Rolle des Radiologen Max von dem exaltierten Dieter Laser übernimmt, verändert sich auch das Gleichgewicht der drei Figuren. „Der war eine Wand. Jetzt ist es viel elastischer“, sagt Mathieu Carrière, der wieder den Allgemeinarzt Paul spielt. Auch Ulrich Bähnk als betrunkener Frisör Simon ist wieder mit von der Partie.
Auf der Hälfte des Stückes verwandeln sich die Darsteller im Angesicht der Frage Vertuschen oder Verraten grundlegend. So sehr sich die Gespräche um ihre Partnerinnen drehen, am Ende geht es um die Freundschaft selbst. „Die Masken fallen. Durch die Krise zerbricht die Freundschaft und findet auf einem höheren Niveau wieder zusammen“, sagt Mathieu Carrière. Und da fügt es sich, dass auch beherzt streitende Figuren wie Max und Paul im Grunde eine tiefe Liebe vereint. Mathieu Carrière: „Die könnten glatt aus einer Familie kommen.“
„Unsere Frauen“ Wiederaufnahme 14.10., 20.00, Vorstellungen bis 25.10., Hamburger Kammerspiele, Hartungstraße 9-11, Karten zu 9 bis 40 Euro unter
T. 413 34 40; www.hamburger-kammerspiele.de