Die Bestsellerautorin Charlotte Roche hat ein neues Buch geschrieben. Es geht um Familie, Frausein und Affären.

Gut möglich, dass Charlotte Roche ein Buch über das Muttersein schreiben wollte. Besser gesagt: ein Anti-Mütter-Buch. Ein Buch, das aufräumt mit dem Klischee, dass das Leben toller, erfüllter, glücksdurchfluteter wird, sobald man Kinder in die Welt setzt.

Hätte spannend werden können, so ein Buch. Nur war es Charlotte Roche dann wohl doch zu langweilig.

So ist „Mädchen für alles“ nur sehr am Rande die Geschichte einer überforderten jungen Frau. Es ist vor allem ein wilder Gedankenrausch, in dem Sex-, Gewalt- und Machtfantasien ungefiltert ineinanderfließen. Was umso befremdlicher wirkt in einem Klima, in dem der Leser detaillierten Stoff über die Farbe des Windelinhalts und babydurchgeweinte Nächte erwartet hätte. Aber Erzählerin Chrissie verbringt ihre Tage lieber unter der Bettdecke, wo sie Schamlippen und Brüste untersucht und sich ihrer prämenstruell bedingten Weltuntergangslaune hingibt („Das Leben ist Horror, deswegen schlaf ich gern, das ist wie tot sein, man hat seine Ruhe und kein schlechtes Gewissen“). Ihr Mann füttert nebenan die kleine Tochter.

Roche ist eine sehr körperbetonte Schreiberin. Das hat sie in ihren Vorgängerromanen „Feuchtgebiete“ und „Schoßgebete“ eindrücklich bewiesen. Auch im neuen Buch tropft es aus allen Körperöffnungen. Eine Tube Bepan­then-Salbe ist Wunderheilmittel für Brustverbrennungen und Penisersatz. Wer Roches Selbstbefriedigungsprosa grundsätzlich etwas abgewinnen kann, kommt auch in „Mädchen für alles“ auf seine Kosten. Wobei es insgesamt eher züchtig als pornografisch zugeht. Eher „Bravo“ als „Playboy“.

Der Plot ist schnell erzählt: Chrissie verführt die Babysitterin ihrer Tochter, um ihrem Mann Jörg eins auszuwischen. Der ist computersüchtig, untreu und heimlich schwul – wobei die Autorin ganze viereinhalb Sätze von 240 Seiten auf seinen Part verschwendet. Gäbe es einen Preis für den am langweiligsten geschilderten Partner im deutschen Familienroman, Roches Jörg-Charakter hätte beste Chancen.

Babysitterin Marie dagegen wird in aller körperlichen Pracht geschildert. Von den sexy Spuckefäden, die ihr aus den Mundwinkeln hängen, bis zu den rasierten Achseln. Gecastet für den Babysitterjob wurde Marie im Bioladen, was in diesem Fall bereits ein Statement ist. Sie ist schön, lebensbejahend, rundum gesund, „wie das Pampers- oder Zwiebackbaby in erwachsen“. Und sie ist herrlich naiv, sodass Psychopathin Chrissie leichtes Spiel mit ihr hat.

Hatte sich die 37 Jahre alte Moderatorin Roche zuletzt mit dem Austesten von Igitt-Grenzen und Würg-Metaphern ihren Spaß gemacht, erprobt sie hier, über wie viele Absätze man eine Sexszene auswalzen kann, bevor ein Lektor „Stopp“ ruft. Sie kann es, um es vorwegzunehmen, über sehr viele Seiten und Details hinweg. Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sagte Roche kürzlich in einem Interview, ihre Kernkompetenz als Autorin liege darin, Sexszenen zu schreiben: „Wenn es einen Beruf gäbe, den man ausüben könnte, indem man nur Sexszenen schreibt, dann wäre ich die beste Besetzung.“ Die Karriere von Charlotte Roche ist eine der erstaunlichsten in der Literaturszene. Drei Millionen Mal verkauften sich ihre ersten beiden Romane. Ganz Lese-Deutschland debattierte nach dem Erscheinen von „Feuchtgebiete“ über die Rolle der Intimfrisur in der Literaturgeschichte. Roches schriftstellerisches Talent ist dabei bestenfalls durchschnittlich. Eine „Abwesenheit von Stil“ hat mal jemand ihre Art zu schreiben genannt. Eher könnte man sagen: Roches Stil besteht darin, ihren Text frei zu machen von allem, was irgendwie künstlerisch wirken könnte. Jeder Ansatz von Ästhetik wird umgehend amputiert.

Roches Figuren sind durch die Reihe das Gegenteil von Sympathieträgern

Roche schreibt, wie man spricht. Samt aller Quietschlaute und Quatschwörter. Gefühlt ohne Punkt und Komma. Schlimmstenfalls bekommt man davon leichte Kopfschmerzen. Im besten Fall erfreut man sich an Roche als toller Wortbastlerin. „Nichtpupserin“. „Flitschegummi“. „Kaputtgestöhnt“. Darauf muss man ja auch erst einmal kommen. Und Roche hat Humor, so viel steht fest. Sehr gut möglich, dass sie viel Spaß hatte beim Beschreiben anatomischer Auffälligkeiten eines Polochs oder der Oberweite ihrer Protagonistin: „Die Brüste sind nicht mehr da, wo sie sein sollen.“ Bei Roche erzählt so ein Satz auch eine Menge über das Innenleben ihrer Figuren. In Chrissis Fall bedeutet es: Läuft gerade alles andere als rund in ihrem Leben.

Charlotte Roche:
„Mädchen
für alles“,
Piper Verlag,
240 Seiten,
14,99 Euro
Charlotte Roche: „Mädchen für alles“, Piper Verlag, 240 Seiten, 14,99 Euro © dpa

Roches Figuren sind durch die Reihe das Gegenteil von Sympathieträgern. Sie sind neurotisch, verhaltensauffällig, meistens totale Nervensägen. Und man muss schon sehr zwischen den Zeilen lesen, um in „Mädchen für alles“ die liebesbedürftige Frau zu erkennen, als die Chrissie von der Autorin vielleicht einmal angelegt war. (Wobei Roche höchstwahrscheinlich gar nichts „anlegt“. Sie knallt Sätze auf die Seiten.) Dauerbedröhnt zu sein ist jedenfalls die hervorstechende Eigenschaft der Protagonistin, die um ihr Baby schon freiwillig einen großen Bogen macht. Aber auch das ist natürlich Teil des Roche’schen Masterplans. Unbequem zu sein, Tabus zu berühren, Hässliches beim Namen zu nennen, sind seit je mit ihrer Person verbunden.

Wird „Mädchen für alles“ also ein erneuter Bestseller? Ein Buch, über das man redet? Gut möglich. Wichtiger aber ist: Charlotte Roche ist sich auch in ihrem dritten Roman treu geblieben. Chrissies Geschichte ist gewiss nicht ihre eigene Geschichte. Aber sie erzählt viel von Roches Blick auf die Welt. Und der ist allemal ungewöhnlich.

Zwei Lesungen in Hamburg

Charlotte Roche, 1978 in High Wycombe, Großbritannien, geboren, stellt am 14. und 15. Dezember im „Uebel und Gefährlich“ (Feldstraße 66) ihren neuen Roman „Mädchen für alles“ vor. Einlass ist jeweils um 19 Uhr, die Lesung beginnt um 20 Uhr. Die Tickets kosten 17,20 Euro.