Der Sänger spricht über sein neues Album „Alles dreht sich“ und die Gemeinsamkeiten von Barry White und dem Bofrost-Mann.

Üblicherweise trifft man Musiker zum Interview in Hotels, Cafés oder Bars in sogenannten Szenevierteln. Stefan Gwildis aber lädt zum Gespräch über sein neues Album „Alles dreht sich“ in den Euro-Shell-Autohof gegenüber vom Verkehrsamt am Ausschläger Weg in Hammerbrook, Grenze Hamm. Der Hamburger Sänger und Entertainer wird seine Gründe haben.

Hamburger Abendblatt: Wie kommen wir denn zu diesem besonderen Interview-Ort? Müssen Sie noch zum TÜV?

Stefan Gwildis: Nein. Hamm, Rothenburgsort, Veddel, das sind alte Wirkungsstätten. Mein Vater hatte seinen Reifenhandel am Heidenkampsweg, mein Bruder und ich hatten in der Süderstraße gegenüber vom Verkehrsamt auch einen. Im alten HEW-Werk haben wir unsere Musicals entwickelt, hier ist viel herumgesponnen worden. Hier ist etwas Besonderes am Start.

Auf den ersten Blick gibt es hier eigentlich nur Industrie, Gebrauchtwagen, Bordsteinschwalben.

Gwildis : Die ganzen alten Speditions­gebäude sind voll mit Musikern und Ateliers, hier ist die Fabrik der Künste, und wenn man morgens nach Kaltehofe geht, der Dunst über dem Wasser steht, dann sind die Geister unterwegs. Ich liebe diese Gegend.

Auf Ihrem neuen Album gibt es mit „Doppelhaushälftenherz“ ein Lied, das in Barry-White-Manier von einem Bofrost-Mann erzählt, einem Tiefkühlkostlieferanten, der mitbekommt, wie sich ein Kunden-Ehepaar immer weiter entfremdet. Ich musste sehr lachen ...

Gwildis : ... weil?

… es noch ein Lied über den Bofrost-Mann gibt. Von den Toten Hosen! Campino singt, wie er nach Hause kommt, und wen erwischt er im Bett mit seiner Holden? Den Bofrost-Mann. Vielleicht singen Sie über denselben?

Gwildis : Jetzt wird mir einiges klar. Nein, aber die Perspektive eines Bo-frost-Manns fand ich schon lange interessant. Er ist jemand, der im Speck­gürtel der Stadt unterwegs ist, und aufgrund seiner Bestellungen interpretiert er seine Welt. Mein Bofrost-Mann liefert nur gefrorene Erbsen und Hawaii-Pizza, er klingelt und verschwindet wieder. Aber er liebt diese eine Kundin, hat vielleicht heimlich ein Bild gemacht, das im Kühllaster am Spiegel hin- und herschaukelt. Und er möchte diese unglückliche, frustrierte Ehefrau glücklich machen. Denn er weiß, wie es geht.

Ist der Bofrost-Mann vielleicht der neue Barry White?

Gwildis : Ja. Für mich war auch Barry White immer der Inbegriff des Bofrost-Manns. Der Bofrost-Mann ist sehr weise, so wie Barry, der auch vor jedem Song eine Weisheit erzählt hat. „Oh, Baby“, sagte er, wischte sich den Schweiß mit einem Handtuch von der Stirn, und dann ging es los.

Nicht wenige Ihrer Fans leben in Doppelhaushälften. Wie viele Ehen wird dieser Song retten und wie viele zerstören?

Gwildis : Er wird nur retten. Er wird viele Millionen Menschen in Doppelhaushälften, aber auch in Eigentumswohnungen aufrütteln. Wände werden durchbrochen, es wird wieder gesprochen. Es wird ein großer Austausch stattfinden.

Vielleicht zitiert jemand für seine Liebste auch das Lied „In meiner Kathedrale“: „In meiner Kathedrale wird immer eine Kerze stehen. Sie brennt für dich, bis wir uns wiedersehen“ – Saxofonsolo. Das ist schon ein bisschen kitschig.

Gwildis : Das Grundmotiv für den Song war Abschied. „Die vorübergingen“ hieß er anfangs, mit dem Bild eines Bahnhofs im Kopf und der Schwere des Tschüssagens. Und dieses Murmeln um einen herum, der Sound eines Bahnhofs, der erinnerte mich an Kathedralen. Kitschig? Ich finde es romantisch.

Interessant ist auch, dass Sie jetzt sogar Melodic Rock für sich entdecken. Das Lied „Nö“ klingt total nach Toto.

Gwildis : Nö ist für mich eines der tollsten Wörter in unserem Sprachschatz. Ich bin mal auf Sylt einer wohlhabenden Reederwitwe begegnet, die ihrem Nachbarn unbedingt eine Wiese abkaufen wollte. Und seine Antwort war immer, ganz alter Friese: „Nö.“ Einfach nur: „Nö.“ Irgendwann hat er sich zu einem ganzen Satz hinreißen lassen: „Was soll ich denn mit dem Geld?“ Großartig!

Nein heißt nein.

Gwildis : Aber nö ist geiler. Nö ist das funky Nein.

Sie haben sich weit entfaltet seit dem ersten Album „Neues Spiel“ 2003. Früher konzentrierten Sie sich auf eingedeutschte Soul-Klassiker, jetzt singen sie Eigenkompositionen von Pop und Rock bis Jazz und Bossa nova. Gibt es noch un­voll­endete Musikideen, die es nicht auf das Album geschafft haben?

Gwildis : Ja, es gibt ein paar. „Funky Monkey“, eine Speed-Funk-Nummer, kommt auf die Deluxe-Version. Und „Handvoll Liebe“ möchte ich als Zweigestirn mit Dietmar Bär singen.

Wie wäre es mit einer Kinderplatte? Bei Ihren Stadtparkkonzerten ist die Grasnarbe am Bühnenrand voller Butscher.

Gwildis : Das wäre eine gute Idee, ja! Robert Metcalf zum Beispiel macht tolle Lieder für Kinder. Und die Beatles, die gehen immer.

Was verbindet Sie noch als Barmbeker Soulbruder mit dem Quartier, Sie wohnen ja jetzt auf dem Land?

Gwildis : Meine Mudder! Die wohnt ja noch da.

Bekommen Sie viel mit von der Aufhübschung, Neubebauung und Teuerung im alten Arbeiterstadtteil Barmbek?

Gwildis : Nun, natürlich kann man in Barmbek nicht mehr wie ich früher auf Käfer-Motorhauben die Schuttberge herunterrodeln. Aber das ist der Lauf der Dinge, so war es in Eppendorf, in Altona. Hier in Hamm ist es noch herzhaft rau. Aber auch das wird sich irgendwann ändern.

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Stefan Gwildis:
Stefan Gwildis: "Alles dreht sich" © 105 Music

Stefan Gwildis – Album und Konzert

Das Album
„Alles dreht sich“ ist bei 105 Music/Sony erschienen und als CD und Download im Handel erhältlich.
Die Konzerte
Stefan Gwildis und Band spielen am 9. und 10. November auf Kampnagel (Bus 172, 173, Jarrestraße 20). Karten gibt es ab 23,50 Euro in den HA-Ticketshops und unter T. 30 30 98 98; www.stefangwildis.de