Hamburg. Text-Zettel für Frontmann H.P. Baxxter, Glitzershirts für die Großfamilie, eine brennende Gitarre und natürlich: Höllenlärm.
Vor dem „Hyper Hyper“ liegt die Ruhe. Eine Sicherheitsfrau blickt über das leere Feld der Trabrennbahn in Bahrenfeld. Still steht die Bühne da. Ein grauer Koloss. 30 Meter breit, 15 Meter hoch. Mit 300.000 Watt wird die Tonanlage am Abend ein Electro-Inferno in die Nacht hinausdrücken. Licht aus 200 Lampen und Videos auf 100 Quadratmetern Leinwand werden über die Augen von 13.000 Fans gewittern. Raketen werden von der Bühne in den Himmel schießen. All das und noch viel mehr wird passieren, wenn Scooter, Deutschlands erfolgreichste Techno-Band, ihr Hamburger Heimspiel gibt. Doch am frühen Nachmittag ist das bierselige Grölen und beatlastige Feiern der Masse erst eine Ahnung. Um diesen konzertanten Ausnahmezustand vorzubereiten, herrscht hinter der Bühne konzentriertes Treiben.
Seit neun Uhr morgens wird Gerät aus 30 Trucks entladen und aufgebaut. Die Hamburger Catering-Firma Sunny Side bereitet im Backstage-Bereich Mittag- und Abendessen zu. Die Gummiplatten, die da zwischen weißen Zelten und Containern, zwischen Garderoben der Künstler und Produktionsbüro des Veranstalters FKP Scorpio verlegt sind, federn sämtliche Schritte weich ab. Als wollten sie sagen: Später wird es noch laut genug. Stephanie Heinemann bekommt einen Anruf: Frontmann H.P. Baxxter verspätet sich. Sie gehört zum Scooter-Management und sorgt in einer beeindruckenden Mischung aus Unter-Strom-Stehen und Geduld in allen Details bis hin zum Gästepass für Mama Baxxter für den reibungslosen Ablauf rund um die Band. Ihr Handy vibriert häufig in der Hosentasche ihrer kunstvoll zerfetzten Jeans. Sehr häufig.
H.P. Baxxter erscheint. Schwarzes Hemd. Schwarze Jeans. Gefolgt von Tänzerinnen, die pinke und graue Rollkoffer mit Show-Outfits hinter sich herziehen. Noch tragen sie Jeans, Sweatshirts, Halstücher. In der Welt von Scooter ist das viel Textilie. Baxxters Markenzeichen, die wasserstoff-blondierten Haare, leuchten unwirklich im natürlichen Scheinwerferlicht der Sonne. Der Mann, der mit seiner Vision von Tanzmusik mehr als 30 Millionen Tonträger verkauft hat, mag nicht so recht in den Tag passen. Sein Gesicht scheint unweigerlich verbunden mit Stroboskop-Blitzen, die die Dunkelheit nervös aufreiben. Ein Nachtmensch, der nun mit Handschlag Michael Simon und Phil Speiser begrüßt, seine musikalische Rückendeckung an den Synthesizern. Gemeinsam laufen sie zum Soundcheck die metallene Treppe zur Bühne hinauf.
Noch ist das Rauschen der Generatoren zu hören, die zwei überdimensionale Megafone zur Dekoration aufpusten. Baxxter redet mit dem Mischer, raucht, wird verkabelt, greift sein Handmikrofon. Der Scooter-Sound schiebt sich magengrubenerbebend aus den Boxen. Energie fährt in Baxxters Körper. Noch nicht die ultimative, raubtierhafte wie beim Konzert. Aber genug, um wie ein lauernder Tiger auf und ab zu laufen und ein wenig irrsinnige Intensität aufflackern zu lassen. „Riot“ ruft er mehrfach lauthals. So heißt die neue Single, deren Veröffentlichung Baxxter samt Download-Möglichkeit zu Konzertbeginn im Open-Air-Rund verkünden wird. Durch und durch Profi. Bis ins Kleinste.
An der Rampe klebt eine Reihe von Zetteln. Mit der Songliste, den Namen aller zehn Tänzer sowie Textpassagen. „Ich habe mir Stellen aufgeschrieben, an denen ich mal einen Hänger hatte. Aber das ist wie ein Netz, eher psychologisch, ich gucke da eigentlich nie drauf“, sagt Baxxter. Die Texte von Scooter mögen nicht so komplex sein wie die von Bob Dylan. Aber die schnellen Shouts und Sprechgesänge müssen punktgenau abgefeuert werden im Getöse der Show. Bis in die Nacht hinein habe er deshalb neue Lyrics gepaukt, erzählt Baxxter. Der Soundcheck ist ein wichtiger Schritt, ein Stück Sicherheit im Großunternehmen Scooter.
Für die zweite Zugabe „Fire“ probt Baxxter noch ein neues Gimmick. Er entzündet eine präparierte Gitarre an einem der Show-Flammenwerfer und hält das Instrument stolz hoch. Zwei Herren von der Hamburger Feuerwehr prüfen kritischen Blickes. Ekstase muss schließlich ihre Ordnung haben.
„Oha, ich sehe gerade, meine Haare sind schon alle abgesengt“, ruft Baxxter, zurück im Backstage, und streicht sich irritiert bis amüsiert über den linken Arm. Schnell isst er noch einen Burger beim Catering und fährt dann, um sich in Ruhe fertig zu machen, in ein Hotelzimmer. „Für das Tourfeeling.“ Nicht nach Hause nach Duvenstedt. Keinen Alltag sehen.
Scooter begeistert 13.000 Fans bei Open Air
Als Baxxter gegen sieben Uhr zum Gelände zurückkehrt, hat der Einlass für die Fans längst begonnen. Eine Gruppe Männer trägt pinke Westen mit der Aufschrift „Scooter – mehr Kultur geht nicht“. Dass die Dada-Lyrik und der Rumms-Bumms-Sound von Scooter von vielen belächelt bis gehasst wird, tragen Fans wie Band mit ironischer Gelassenheit.
Der Backstage-Bereich füllt sich ebenfalls. Großfamilie Baxxter rückt an. Schick gemacht mit Sakkos und Glitzer-Shirts. Auch Schwester Britt ist dabei, mit der Baxxter einst in der Synthie-Pop-Band Celebrate The Nun spielte. Der Himmel zieht sich bedrohlich dunkel zu. Baxxter zeigt nach oben und ruft zu Managerin Heinemann: „Guck dir das mal an.“ Die zuckt mit den Schultern. Das Wetter liegt außerhalb ihres Organisationstalents. Die Band zieht sich in ihre Garderobe zurück. Höllenlaute Musik ertönt. Ein Aufwärm-Ritual. Hochfahren. Sich elektrisieren. Eine Tänzerin, jetzt im knappen, knallroten Latex-Overall, läuft noch flugs zum Toilettencontainer. Dann Showtime. Baxxter verlässt als erster die Garderobe, gefolgt von Musikern, Management, Tänzern. Hoch ins Rampenlicht. Zum Start ein Knall. Jubel brandet auf die Bühne.
Die Show an sich ist schönste Verschwendung. Eine große Fantasie, in der die Tänzerinnen mal Engel, mal Diven mit Peitsche sind. In der die Funken fliegen und ohrenbetäubend die Entgrenzung zelebriert wird. Eher an die hedonistischen Neunziger erinnernd als in die krisengeschüttelten 2010er-Jahre passend. Und gerade deswegen ein Ereignis, das von der Seite aus betrachtet harte Arbeit ist. Die Bühne mit all ihren Kabeln und Traversen wirkt tiefer als von vorn. Techniker operieren jenseits der Scheinwerferkegel, einige Tänzer ziehen sich immer wieder geschwind in einem Gang hinter der Bühnenwand um. Eine Illusion wird da geschaffen, die nach knapp zwei Stunden vorbei ist. Baxxter entschwindet im Halbdunkel Richtung Garderobe. Eine Viertelstunde später steht er im weißen Hemd backstage, um Fans zu begrüßen, die ein „Meet & Greet“ gewonnen haben. Reden, Hände schütteln, für Kameras posieren. Denn nach der Show ist vor der Show.
Nächstes Konzert, neue Single
Karten sichern für die nächste Show:
Am 5. März 2016 kommt Scooter
auf ihrer „Can’t Stop The Hardcore“-Tour in die Barclaycard-Arena
Hamburg. Tickets gibt es ab 46,15 Euro.
Neue Single als Download:
„
Riot“ ist bei iTunes für 0,69 Euro erhältlich.