Hamburg. Maurizio Pollini spielte beim Schleswig-Holstein Musik Festival und wirkte dabei zuweilen etwas verloren auf dem Podium der Lübecker Musik- und Kongresshalle
Ein Blick auf den Spielzettel hätte gereicht, um zu erkennen, wer da am Dienstag in der Lübecker Musik- und Kongresshalle im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals zu Gast war: Beethoven-Sonaten kombiniert mit Schönbergs Klavierstücken op. 11 und op. 19, solche Programme sind Maurizio Pollinis Markenzeichen. „Allein Freiheit, weiter gehn ist in der Kunstwelt, wie in der gantzen großen Schöpfung Zweck“, lautete Beethovens Devise. Neue Kunst und engagierte Kunst waren für ihn zwei Seiten einer Medaille. Und keiner seiner Interpreten macht mit diesem Anspruch so ernst wie Pollini.
Der Italiener ist ein Anwalt der Moderne, er kombiniert in seinen Recitals Debussy mit Boulez, Schumann mit Stockhausen oder die Verfechter des musikalischen Entwicklungsdenkens Beethoven und Schönberg. Und Pollini ist ein politischer Künstler. In den 60er-Jahren hielt er noch vom Podium herab Reden gegen den Vietnamkrieg. Doch entscheidender ist, dass man die innere Haltung des Pianisten immer hört: Pollinis Spiel ist die perfekte Synthese aus Energie und analytischer Klarheit. Er macht das Erregende und Befreiende großer Kunst hörbar, egal aus welcher Zeit das Stück stammt.
Wem die Legende Pollini lieb ist, dem fällt es schwer, sich diesen Künstler als Greis vorzustellen. Seine äußerliche Gebrechlichkeit geht nur schwer zusammen mit dem Geist seiner Interpretationen. Etwas verloren wirkte der gebückte ältere Herr auf dem riesigen Lübecker Podium, weit entfernt von seinem Publikum und wie ein Denkmal seiner selbst. Beides hatte Pollini nie sein wollen. Doch seinem Stil blieb er treu. Milde Altersweisheit ist seine Sache nicht. Geradezu halsbrecherisch stürzte er sich nach dem einleitenden Largo in das erste Thema von Beethovens Sturm-Sonate. Schon bei der Wiederholung derselben Stelle aber nahm er sich deutlich zurück. Denn leider ließen Finger und Gedächtnis den für seinen Perfektionismus bekannten Künstler an diesem Abend gefährlich oft im Stich. Fehler und Aussetzer häuften sich. Vor allem aber litt die Differenziertheit der Gestaltung. Beethovens Fis-Dur-Sonate geriet so mehr als übereilig absolvierte Angstpartie, bei der eine Schrecksekunde lang die Hände des Pianisten ziellos über der Klaviatur schwebten, bis er den Faden wiedergefunden hatte.
Es war auch sein Publikum, das Pollini durch diesen Abend trug. Der Applaus nach der Fis-Dur-Sonate fiel demonstrativ herzlich aus. Und so wagte Pollini in einem seiner Paradestücke, der „Appassionata“, erst recht aufs Ganze zu gehen. Zwar fehlten ob des irrwitzigen Tempos etliche Noten, doch dafür sprang der Funke über. Das Publikum bedankte sich mit stehenden Ovationen. Und der Maestro schenkte zwei Beethoven-Bagatellen als Zugabe.