Hamburg. Er war Autor, Übersetzer, Erbe, Schauspieler, Vortragskünstler und ein Original. Er starb im Alter von 70 Jahren in Hamburg.
Gewiss, Harry Rowohlt war Erbe eines bedeutenden Verlages. Aber er war auch viel mehr: Autor, genialer, vielfach preisgekrönter Übersetzer von rund 200 Büchern, Vortragskünstler. Und sein Löwenkopf mit dem gewaltigen Karl-Marx-Bart prädestinierte ihn förmlich dazu, rund 20 Jahre lang den Penner in der „Lindenstraße“ zu spielen, eine Wunschrolle. Auf die Frage, ob er jemals einen anderen Beruf haben wollte, hat Rowohlt mal geantwortet: „Ich habe doch fast alle Berufe.“ Man darf nicht vergessen, dass er nicht nur der Sohn des Verlegers Ernst Rowohlt war, sondern auch der Sohn einer Schauspielerin, Maria Pierenkämper. Harry lag das Schauspieltalent im Blut. Zur Mutter und zum Vater hatte er allerdings ein schwieriges Verhältnis. Jetzt ist Harry Rowohlt, der seit 2007 an der Nervenkrankheit Polyneuropathie litt, im Alter von 70 Jahren in seiner Eppendorfer Wohnung gestorben.
Geboren wurde er im März 1945 in der Hochallee 1, im Luftschutzkeller als Zehnmonatskind und mit dem Namen Harry Rupp (den Weg von Hamburg 13 nach Eppendorf bezeichnete er einmal als „leichten Abstieg, aber noch nicht die schiefe Bahn“). Seine Mutter war da noch mit dem Kunstmaler Hans Rupp verheiratet. „Meine Mutter war Schauspielerin, da bin ich ihr immer von Engagement zu Engagement nachgefolgt und war manchmal auch bei Freunden ausgelagert,“ hat Rowohlt mal erzählt. Mit vier Jahren konnte Harry lesen. Später einmal, als er in Dylan Thomas’ Hörspiel „Under the Milkwood“ vertieft war, hat sein Vater geschimpft: „Typisch, ‘ne Fünf in Mathe, aber Mischwald lesen.“ Und das in einer Verlegerfamilie! „Mein Vater litt an einer milden Form der Legasthenie.“ Das sind so Anekdoten, von denen Harry Rowohlts Leben voll war. Und die er brummend und effektvoll erzählen konnte. Etwa aus seiner Schulzeit: „Ich bin immer wieder zum Klassensprecher gewählt worden, weil ich der Einzige war, der von einer Schülerratsversammlung, die zehn Minuten gedauert hatte, 40 Minuten berichten konnte.“
Harry hatte einen unglaublich trockenen Witz. Gelacht hat er so gut wie nie, aber wer ihn traf, hat ihn geradezu belauert, ob, wann und wie man etwas Komisches aus ihm rauskitzeln konnte. Meist ging es ja schon von alleine los. Harry war ein Unterhaltungstier. Aber keine Rampensau, denn die Öffentlichkeit suchte er nicht. „Hier im Viertel lauf’ ich immer zickzack. Nicht weil ich besoffen bin, sondern weil ich den Leuten ständig ausweiche“, hat er erklärt. In Eppendorf konnte man ihn viele Jahre lang trotzdem treffen. Nicht nur in Kneipen. Mit einem Korb ging er über den Isemarkt, um einzukaufen.
Harry Rowohlt fing Mitte der 60er-Jahre als Lehrling beim Suhrkamp-Verlag an, machte ein Sortimentspraktikum bei der Bücherstube Schöller in Berlin und zog dann als Volontär in den Verlag seines Vaters ein. „Ich kannte den ja vorher nicht“, sagte er. „Da hab ich ihn dann kennengelernt und gedacht: Womit habe ich dieses Straflager verdient?“
Harry Rowohlt hätte der Erbe dieses Verlages sein können, aber seinen 49-prozentigen Anteil hat er 1982 an die Holtzbrinck-Gruppe verkauft. Anstelle dessen begann er zu übersetzen, Kinder- und Erwachsenenliteratur, Anthony Burgess und Leonard Cohen, Robert Crumb, F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway, Frank McCourt, Ian McEwan, David Sedaris und Kurt Vonnegut, um nur einige zu nennen.
Angefangen hat es mit A.S. Neill, dessen Buch „Die grüne Wolke“ wegen der vielen Slangausdrücke als unübertragbar galt. Harry Rowohlt hatte sich ein Wörterbuch der Gaunersprache Rotwelsch zugelegt und war erfolgreich. Er übersetzte Autoren, die – so wie er – Originale waren, nicht stromlinienförmig. Dann kam der Ire Flann O’Brien hinzu, den schon Rowohlts Vater im Programm hatte. Allerdings mit von Harry Rowohlt gezählten 1200 Fehlern in der deutschen Version. Rowohlt übersetzte einen seiner Lieblingsromane, O’Briens „In Schwimmen-zwei-Vögel“, wurde zum Irland-Experten und vom Dachverband der irischen Brennereien mit dem Titel „Ambassador of Irish Whisky“ gekrönt. Viele Jahre lang hat er den Ehrentitel bis zum letzten Tropfen verteidigt, indem er sich bei seinen Lesungen exzessiv und eindrucksvoll aus der Malt-Flasche betrank. Er unterbrach die Lesungen häufig für Kommentare zu den Texten, abschweifende Bemerkungen, Anekdoten, Autobiografisches und vieles mehr, sodass die gelesenen Texte eher im Hintergrund standen. Das konnte dann vier, fünf oder sechs Stunden dauern. Das Publikum war begeistert. Anfragen zum Verlag wehrte er stets per Formschreiben ab: „Ich habe drei Rundschreiben. Rundschreiben eins lautete: Ich bin ja schon froh, dass ich nicht Kiepenheuer und Witsch heiße. Wenn Sie was vom Rowohlt-Verlag wollen, wenden Sie sich an den Rowohlt-Verlag und nicht an mich. Weitersagen!“
Rowohlt war Individualist, Einzelgänger. Er konnte wunderbar formulieren, auch wenn er Briefe schrieb, war scharfsinnig, pointiert, ein belesener Intellektueller. Auf die Frage nach seiner Lieblingstugend antwortete er einmal: „Sagen, was man denkt. Und vorher was gedacht haben.“ Er pflegte seine linke politische Sicht auf die Welt, fuhr nicht Auto, hatte keinen Computer, kein Handy. Vor seiner Fernsehkarriere geschah es regelmäßig, dass er von Taxifahrern als Fahrgast verschmäht, von Zugschaffnern ignoriert und bei seinen eigenen Veranstaltungen nicht zugelassen wurde. Im Hamburger Literaturhaus verweigerte man ihm einmal Einlass mit der Bemerkung: „Hier ist heute Dichterlesung.“ Das zauselhafte, bärige, waldschratartige Äußere des meist mit einer blauen Jeansjacke Bekleideten stand diametral zur Pedanterie, mit der er gearbeitet hat. Rowohlt transportierte die fremden Texte erhellend ins Deutsche.
Dann hat er auch noch unzählige Hörbücher eingesprochen. „Pu der Bär“ etwa, den er ebenso genial übersetzt hat wie viele andere Kinderbücher. Über das Sprechen, das er „ohne Schauspielerbetonung“ lieferte, hat er erklärt: „Das ist überhaupt nicht schwer. Zum Beispiel, die Stimme von I-Ah. Ich dachte, als ich das aufnahm, das ist ein bisschen zu sehr chargiert. Die Stimme habe ich zu 80 Prozent vom deutschen Romancier Georg Lenz geklaut und zu je zehn Prozent von Hildegard Knef und Peter Zadek. Kinder lieben eigentlich nur noch die Kapitel, in denen I-Ah vorkommt, weil der so schön knatschig spricht.“
Entspannen wollte Harry Rowohlt nie, auch nicht im Griechenlandurlaub
Man konnte sich fallen lassen in sein Erzählen, so schön war’s. Rowohlt beherrschte Dialekte, konnte Menschen nachmachen, war „sprachverliebt bis zur Sprachbesessenheit“, wie ihm die Jury des Deutschen Jugendliteraturpreises attestierte, die „Komik, Schrägheit, Hintersinn, Skurrilität, Absurdität, Übertreibung und Genialität“ in seinen Übersetzungen ausmachte.
Entspannen wollte er nie, nicht mal im alljährlichen Griechenlandurlaub mit seiner Frau Ulla, einer Buchhändlerin. Selbst über seine Krankheit, eine Nervenlähmung, hat er gescherzt: „Ich brauch’ mich als passionierter Stubenhocker nicht groß umschulen zu lassen.“