Hamburg. Das von Ohnsorg Theater und Hafenmuseum entwickelte „Tallymann un Schutenschubser“ hat am Sonnabend Premiere

Harry Belafonte hat ihn in seinem „Banana Boat Song“ unsterblich gemacht, den Tallymann. ­„Come Mister tally man, tally me banana“ sang der afroamerikanische Entertainer im Jahr 1956: „Kommen Sie, ­Tallymann, zählen Sie meine Bananen.“ Die Zeit der Tallymänner ist vorbei, früher gehörten die Ladungskon­trolleure in den Seehäfen zu den wichtigsten Akteuren, denn sie zählten und maßen die Waren, die von Frachtern über die Weltmeere transportiert worden waren und nun ihr Ziel erreicht hatten. Heute werden fast nur noch Container verladen, einen Tallymann braucht man dafür nicht mehr. Von dieser ausgestorbenen Spezies erzählt das Stück „Tallymann un Schutenschubser“, das vom Ohnsorg Theater und dem Hafenmuseum gemeinsam entwickelt worden ist und an diesem Sonnabend Premiere im Hafenmuseum im Schuppen 50a feiert.

Ohnsorg-Dramaturgin Cornelia Ehlers und Ursula Richenberger, Leiterin des Hafenmuseums, hatten die Idee, Geschichten von und über die Menschen zu erzählen, die den Hamburger Hafen Tag und Nacht pulsieren lassen. Ehlers konnte als Regisseur und Autor Michael Uhl gewinnen, einen Theatermann, den sie noch vom Oldenburgischen Staatstheater kennt. Uhl hat in der Vergangenheit bereits an theaterfernen Spielorten inszeniert, in der Kieler ­Marineschule ebenso wie im Oldenburger Fußballstadion Donnerschwee. Außerdem bringt er eine Menge Erfahrung im Umgang mit Laienschauspielern mit. Denn die Akteure bei „Tallymann un Schu­ten­schubser“ sind keine Theaterprofis, aber Experten für Hafen und Seefahrt.

In langen Interviews haben die Theaterleute die Bewerber ausgewählt

50 ehemalige Hafenarbeiter, die sogenannten „Hafensenioren“, arbeiten ehrenamtlich im Hafenmuseum Hamburg im 271 Meter langen Schuppen 50, wo bis Ende der 60er-Jahre der Südamerikaverkehr abgewickelt wurde und zum Beispiel Kaffee oder Bananen gelöscht wurden. Bei den wöchentlichen Versammlungen fragten die Theaterleute, wer Lust hätte, an diesem Projekt mitzuwirken. In langen Interviews wurden von den Bewerbern fünf ausgewählt, die ihr Leben im Hafen verbracht haben und die so viele Geschichten und Döntjes auf Lager haben, dass man damit mehrere Abende füllen könnte. Karl-Heinrich Altstaedt, Rolf Hartz, Jockl Hoffmann, Jan Jalass und Gerd Metscher erzählen aus ihrem Leben, musikalisch werden sie von dem Bühnenmusiker Frank Wacks begleitet.

Der 75 Minuten lange Abend gruppiert sich um drei zentrale Themen und Abschnitte im Leben der Senioren und auch in der Entwicklung des ­Hafens: Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit, Sturmflut 1962 und das Aufkommen des Containerverkehrs in den 70er-Jahren. Das Quintett erzählt sehr persönlich und authentisch von der knochenharten Arbeit in den Lade­luken, von der Sehnsucht, selber zur See zu fahren, was das Wort „Pensum“ bedeutet und was ein „Unständiger“ ist.

Die Sprache wechselt zwischen Hoch- und Plattdeutsch und spiegelt damit das Spannungsfeld zwischen heute und gestern. Der Zuschauer erfährt viel über Berufe, die es nicht mehr gibt und den Wandel, dem der Hafen ständig unterliegt. Schuten und Ewer, die Waren innerhalb des Hafens als Lasttaxis transportierten, gibt es schon lange nicht mehr, auch der Beruf des Ewerführers oder „Schutenschubsers“ ist praktisch ausgestorben. Wie rasant die Entwicklung bei Löschung von Ladung vorangeschritten ist, zeigt ein Beispiel, das Karl-Heinrich Altstaedt gibt: „120 Tonnen Kaffee aus der ,Cap San Diego‘ wären heute sechs Container. Die löscht ein Gang heute in 15 Minuten. Früher brauchte der Gang dafür eine ganze Schicht.“ Der Hafen stand jedoch nicht nur für harte Arbeit, sondern auch für viel Spaß nach Feierabend. „Kajüte“, „Bumbum“ oder „De Kistenmaker“ hießen Kneipen, in denen die Schauerleute oft ihren Lohn versoffen und in denen Unstimmigkeiten mit den Fäusten geklärt wurden. Auch davon wissen die Senioren eine Menge zu erzählen.

Zu dem Theaterabend gehört auch ein Besuch des Hafenmuseums

Dieser historisch-biografische Theaterabend beginnt jeweils um 18 Uhr an der Überseebrücke. Mit Barkassen geht es über die Elbe an der Elbphilharmonie vorbei zum Hafenmuseum. Bevor das Spiel beginnt, können die Zuschauer das Hafenmuseum mit seinen hohen Stellagen, den Schiffsmodellen und historischen Fotos besichtigen. Durch die Unterstützung der Kulturbehörde und von Barkassen-Meyer, die dem Ohnsorg die Bootsfahrten schenken, kosten Eintrittskarten nur 20 Euro. Gespielt wird an den Wochenenden vom 13. Juni bis zum 18. Juli und nach der Sommerpause vom 13. September bis zum 4. Oktober.