Boerne und Thiel, die beliebtesten Kommissare im deutschen Fernsehen, ermitteln diesmal in einem mäßigen „Tatort“

Der beste Moment im neuen „Tatort“ ist die Selbstpersiflage: Boerne, der Pathologe mit dem scharfen Blick, entdeckt eine Blutspur, die für jeden als Blutspur zu erkennen ist. „Was haben wir denn da ... Blut!“, sagt Boerne.

Das ist in seiner Redundanz groß, und eine jener Szenen, die man im populären und entschieden auf skurril getrimmten Münsteraner „Tatort“ immer schon unter positiv verbucht hat. Gleiches gilt für die Hingabe, mit der ein Volksschauspieler wie Jan Josef Liefers den eitlen Skalpell-Gockel Boer­ne gibt. Mit dem Kommissar-Moppelchen Thiel (Axel Prahl) stellt Boerne seit 13 Jahren das seltsamste Paar des Krimi-Flaggschiffs im Hauptprogramm, man erinnert sich an manch angenehm bizarre Fälle.

Aber auch an irritierend überdrehte Drehbücher, in denen über dem mutwilligen Dauerwitz die Sicht aufs Ganze vergessen wird. „Erkläre Chimäre“, der 28. Fall für das westfälische Ermittlerduo, stammt aus der Feder der Münster-Stammautoren Stefan Cantz und Jan Hinter – und ist eine grandios hingegurkte Angelegenheit, in der der Plot immerhin sehr konsequent verkaspert wird. Ein Komödchen mit Mord – und sogar aktuell!

Denn weil Boerne das erben will, was sein männerliebender Onkel aus Florida an vermeintlichen Reichtümern angesammelt hat, spielt er dem in Münster weilenden Mann eine gleichgeschlechtliche Liaison vor. Sein Lebenspartner ist angeblich, Überraschung!, der Nachbar und Kollege Thiel. Der muss bei dem Fake-Manöver leider mitspielen, weil Boerne ihm soeben das Leben per Luftröhrenschnitt gerettet hat. Ausnahmsweise war es Thiel, der das Maul zu voll nahm.

Das gänzlich Unleise der Münster-„Tatorte“, in denen in sehr gedehnten Dialogen immer sehr vernehmlich auf die „Lachen Sie bitte jetzt“-Taste gedrückt wird, erfährt glücklicherweise keine Steigerung. Kein Tucken-Getue, aber insgesamt doch schwuler Schmu – und als Boerne vor Ankunft des Florida-Oheims einen Ring über Thiels Wurstfingerchen presst, denkt man halt doch kurz an die jetzt wieder aufgebrandete Frage, ob Homo-Paare die eingetragene Lebenspartnerschaft nicht einfach durch eine normale Ehe ersetzen können sollten. Gerne ja, aber bitte nicht im Münsteraner „Tatort“.

Da sollte nämlich ganz grundsätzlich auf Theatervorstellungen wie die für den Onkel verzichtet werden. Der wird übrigens von Christian Kohlund gut gebräunt und sehr sachlich gespielt – so sachlich, dass man ihm die Trauer über den Tod seines Lovers kaum abnimmt. Luiz Bensao, 25, wird tot in einer Schlachterei gefunden.

Vorher trieb er sich in einer Weinhandlung herum, wo er, wie Boerne, Thiel und die frisch zur Kommissarin beförderte Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) herausfinden, sechs Flaschen alleredelsten Champagners à 50.000 Euro veräußerte. Im Auftrag des Onkels, der selbst aus persönlichen Gründen erst später in die alte Heimat reist und sich dort, so viel Klischee muss sein, erst einmal auf die Suche nach einer amtlichen Schwulenbar macht. Thiel kommt übrigens gut an beim Onkel – „Genau so habe ich dich mir vorgestellt, handfest, kernig und nicht so eine Prinzessin auf der Erbse wie der da“. Boerne ist natürlich gemeint.

Jaja, diese Verwicklungen: Der Tote, früher ein Waisenheim-Kind, wurde einst von einem Münsteraner Honoratioren-Kreis gesponsert, daher besteht eine alte Verbindung zu Münster, das diesmal ziemlich invalide und hinfällig ist. Thiel kann nach der Metzelei am Hals kaum sprechen, die Staatsanwältin (Mechthild Grossmann) lässt sich in der Schönheitschirurgie verarzten. Und dann ist da noch der missratene Sohn des Weinhändlers, der für einen Crystal-Meth-Süchtigen ein bisschen zu pausbäckig aussieht.

Aber macht ja nix, so wie überhaupt nichts wirklich stört, wenn man sich als Drehbuchschreiber beim Zusammenfabulieren des schrägen Stoffs gar keine Grenzen setzt. Das ist natürlich insoweit okay, als der Boerne-Thiel-Markenkern nun mal darin besteht, besonders komisch sein zu wollen. Ehrlicherweise muss man jedoch sagen, dass die Runnings Gags so langsam auch mal Seitenstechen bekommen. Man weiß ja, dass Thiels „Vadder“ gerne kifft. Man weiß, dass Boerne ein elitärer Porscheschnösel ist, der Zwerge verachtet und am liebsten doziert.

Man würde aber gerne auch mal wieder überrascht werden. Und zwar nicht von einer Story, die kriminalistisch übergaga ist und, was die Hauptcharaktere und ihr Privatleben angeht, so klamottig, dass es beinah schon unwürdig ist.

„Tatort – Erkläre Chimäre“ So, 20.15 Uhr, ARD