Hamburg. 12.000 Fans jubeln in der O2-World Herbert Grönemeyer zu, dem es in seinem Konzert gelingt, Partystimmung mit Nachdenklichkeit zu verbinden
Die Bühne ist fast schwarz. Nur etwas kaltes bläuliches Licht schimmert. Dann tasten sich die Musiker zu ihren Instrumenten, auf dem Kopf tragen sie Stirnlampen wie Bergleute. Herbert Grönemeyer hat den Kumpels in seiner Heimat an Rhein und Ruhr ein aktuelles Lied geschrieben. Mit „Unter Tage“ beginnt er sein Konzert in der ausverkauften O2 World. Schon lange hat er das Ruhrgebiet verlassen, wo er aufgewachsen ist. Heute lebt er in London und Berlin, doch Bochum steckt immer noch tief in ihm drin. Er hat sich das Herz für die einfachen Leute und die Malocher bewahrt, obwohl er schon lange als intellektueller Pop-Künstler gilt. Gerade hat er am Berliner Ensemble die Musik für den „Faust“ geschrieben. Aber solche Theater-Exkurse zählen an diesem Abend nicht. Grönemeyer steht auf der Hamburger Bühne, um für seine Fans zu malochen.
„Ich singe gern“, hat er mal in einem Interview gesagt. Genauso gern tanzt er. „Fang mich an“ vom neuen Album „Dauernd jetzt“ ist so eine Nummer, bei der er seine neuen Tanz-Moves präsentieren kann. In schwarzem Anzug und strahlend weißen Sneakers präsentiert er auf einem Steg, der weit in die Halle hineinragt, lockere Hüftschwünge und läuft mit perfekten Wechselschritten über Kreuz zurück in die Bühnenmitte, wo sein Keyboard steht. Häufig breitet er die Arme aus, als wolle er die 12.000 Zuschauer in der Arena alle miteinander umarmen. Immer wieder bedankt er sich. Ein nachdenklicher Künstler wie Grönemeyer weiß, dass die Zuneigung seines Publikums keine Selbstverständlichkeit ist. Doch er wird als Kumpel angesehen, als einer, den man schon ewig kennt. Auf den man sich verlassen kann und der ehrliche Arbeit abliefert.
Die meisten seiner Fans sind euphorisch wie der junge Mann mit der Igel-Frisur und dem Ruhrpott-Akzent. Als Grönemeyer die Bühne betritt, schreit er ein lautes „Her-Bie“ und geht die nächsten Songs mit hochgestreckten Armen in einen Dauerklatschmodus über. Eine Reihe hinter ihm sitzt eine junge Frau in einem roten Rock und blickt mit gefalteten Händen wie hypnotisiert auf die Szenerie. Bei „Fang mich an“ hält es auch sie nicht mehr auf ihrem Sitz und sie beginnt zu tanzen. Während der Igel-Mann all seine Energie raus lässt, scheint sie die Energie in sich aufzunehmen, die Grönemeyer ein paar Meter von ihr entfernt freisetzt.
Der Sänger, 1956 geboren, schafft es, in seinen Konzerten Gefühl und Party miteinander in Einklang zu bringen. In den Balladen scheint er Autobiografisches preiszugeben, etwa die Liebe und die Trauer um seine an Krebs gestorbene Frau Anna, in den schnellen Nummern zeigen sich seine unbändige Lebensfreude und sein Optimismus. Grönemeyer versucht nicht, eine perfekte Show ablaufen zu lassen. Er reagiert auf sein Publikum und unterbricht auch mal einen Song wie bei „Demo (Letzter Tag)“, als er sich die Nase reibt und das Lied mit der Bemerkung „Ich hab da einen Fussel an der Nase“ unterbricht. Er gibt selbstironische Kommentare zu seinem Alter ab, zu seinem Aussehen und zu seinem Tanzstil und verringert so die Distanz zum Publikum. Hier läuft keine geölte Show-Maschine, sondern ein Konzert, das Spontaneität zulässt.
Die Dramaturgie allerdings ist wohlüberlegt. Grönemeyer beginnt mit fünf neuen Songs von „Dauernd jetzt“, dann folgt „Bochum“, Titelsong seines ersten Erfolgsalbums aus dem Jahr 1984. Als Intro singt er das „Steigerlied“, eine ganze Reihe von Fans fallen in das „Glück auf“ mit ein, obwohl den Hamburgern „Schiffsverkehr“ und „Land unter“ näher sein dürften als das Bergmannslied. Mit „Männer“, „Was soll das?“ und „Vollmond“ haut „Herbie“ drei Kracher hintereinander raus und setzt die Energie eines Hochofens frei. Die Halle tobt, geradezu abrupt folgt ein besinnlicher Teil des Innehaltens. „Neuer Tag“, „Der Weg“ und „Roter Mond“ singt er an einem Klavier, das ein paar Helfer auf die Stegbühne gewuchtet haben. Auch „Flugzeuge im Bauch“, 31 Jahre alt, hat es wieder ins Programm geschafft – dieses Mal in einer akustischen Version als eine Art Ruhrpott-Blues.
Die zweieinhalb Stunden haben noch eine Menge weiterer Höhepunkte. Einer ist sicher die Reggae-Version von „Mensch“, bei der 24.000 Arme hin- und hergeschwungen werden, ein anderer das lautstark geforderte „Zeit, dass sich was dreht“. Bei der Fußball-Hymne aus dem WM-Jahr 2006 wird die Arena von einer Volksfeststimmung geflutet, die eine weitere Facette des Abends ausmacht. Grönemeyer hält sich mit gesellschaftspolitischen Kommentaren zwar zurück, doch Kanzlerin Merkel wird für ihre Haltung in der NSA-Affäre abgewatscht, und er äußert seine Meinung zur Flüchtlingsproblematik: „Es ist unsere Pflicht, diese Menschen aufzunehmen und zu beschützen“, sagt er in aller Deutlichkeit, bevor er „Feuerlicht“ anstimmt. Auch mit diesem klaren Statement hat er die Fans auf seiner Seite. Grönemeyer entlässt sie mit einer Technoversion von „Fang mich an“. Tanzend verabschiedet Kumpel Herbert sich, er hat wieder korrekt abgeliefert. Und auch die Frau im roten Rock tanzt die Treppe rauf in Richtung Ausgang. Glücklich.