Hamburg. Die Hamburgerin Ann Sophie Dürmeyer singt am 23.5. beim European Song Contest in Wien. Sie bleibt auch im Endspurt gelassen.

Sie sieht genau so aus wie im Märchen: Die Haare schwarz wie Ebenholz, der Teint porzellanzart, die Lippen rot wie Blut. „Schneewittchen – oder Amy Winehouse“, sagt Ann Sophie über die weiblichen Ikonen, mit denen sie gern verglichen wird. Im Fernsehen ist die 24-Jährige momentan auf allen Kanälen zu sehen. Stefan Raab, ZDF Fernsehgarten, Verstehen Sie Spaß, die Talkshows rauf und runter – sie ist zurzeit schwer gefragt. Denn Ann Sophie singt am 23. Mai für Deutschland. Sie ist unsere Hoffnung beim European Song Contest in Wien.

Ihr Song „Black Smoke“ hat gute Chancen, zumindest wenn es nach dem Musikgeschmack der Deutschen geht. Ob sie eine zweite Lena Meyer-Landrut werden könnte – mal sehen, was der Rest Europas davon hält. Dass sie überhaupt in Wien auf der Bühne stehen darf, hat Ann Sophie ihrem Konkurrenten aus dem Vorentscheid zu verdanken. Im Finale verpasste sie den Sieg, dann aber bekam der Gewinner Andreas Kümmert Muffensausen und lehnte dankend ab. Und so öffnete sich die Tür zur Wiener Stadthalle wieder für die gut aussehende Hamburgerin.

Kümmert wusste schon, warum er absagte, für Ann Sophie läuft gerade die komplette PR-Maschinerie, die jeder ESC-Kandidat unweigerlich durchstehen muss. Für Ann Sophie aber ist es keine Qual, sondern eine Chance, die sie nicht ungenutzt verstreichen lassen will. Ende April ist ihr zweites Album „Silver Into Gold“ auf den Markt gekommen, nun tingelt sie durch die Radiostationen der Republik und wirbt nicht nur für den Song, den sei beim ESC singt, sondern für die vielen anderen Seiten, die sie auf dem Album von sich preisgibt.

In einem kleinen Café in Winterhude. Ann Sophie ist Kaffeegenießerin, hier wird der Latte Macchiato mit besonders guten Kaffeebohnen zubereitet. Sie sitzt vor ihrem Laptop und füllt ihren ESC-Steckbrief für die Presse aus. Lieblingsland („Land der Träume“), Hobbys (Wakeboarden, Tanzen „am liebsten auf dem Tisch“). Audrey Hepburn und Christian Bale sind ihre Helden auf der Kinoleinwand, sie beherrscht die Kunst unverbindlich zu sein und dabei nicht arrogant sondern nett rüberzukommen.

Ann Sophie ist mit ihren 24 Jahren ein echtes Showtalent. In London wurde sie geboren, das macht sich immer gut für die Vita. Aufgewachsen ist sie allerdings in Hamburg-Harburg. Anderen Leuten wäre so etwas vielleicht peinlich, bei dem Schmuddelimage, das sich hartnäckig bei den Hanseaten nördlich der Elbe hält. Damit hat „unsere“ Ann Sophie überhaupt kein Problem. In Harburg hatte sie alles, was ihr auf ihrem Weg auf die Bühne nützlich sein konnte. Ballettunterricht, seitdem sie vier ist, Turnen beim Harburger Turnerbund, Tanzen hat sie dort auch gemacht. Prägende Eindrücke für das kleine Mädchen, das es magisch ins Rampenlicht zieht: „Ich wusste schon früh, da will ich auch hin“. Auf dem Friedrich-Ebert-Gymnasium kommt sie in den Musikzweig. Seit der fünften Klasse spielt sie Cello, lernt Klavier und singt im Schulchor eine bunte Mischung von klassischen Stücken bis zu Michael-Jackson-Songs. In der Oberstufe belegt sie Darstellendes Spiel und erntet erste Lorbeeren als Darstellerin in dem Musical „Linie 1“. Dabei begreift sie schnell: Singen ist leichter als Schauspielerei. Nach dem Abitur packt sie deshalb ihre Koffer, geht für zwei Jahre nach New York und macht dort eine Schauspiel-Ausbildung am „Lee Strasberg Theatre & Film Institute“. Außerdem fängt sie dort an, selbst Songs zu komponieren und tritt in kleinen Bars auf.

2012 erscheint schließlich Ann Sophies erstes Album „Time Extended“, die meisten Songs komponiert sie selbst. „Ich setze mich ans Klavier und fange an Akkorde zu spielen. Dann kommt irgendwann die Melodie und dann entstehen die Worte dazu. Das ist für mich immer ein höchst emotionaler Moment“, erzählt sie und nippt an ihrem Kaffee. Vor drei Jahren kehrt sie Amerika den Rücken und kommt nach Hamburg zurück. Und dann bewirbt sie sich mit einem YouTube-Video für eine Wildcard für den ESC. Der Rest ist Geschichte.

Geprägt haben Ann Sophie die Frauen mit viel Soul in der Stimme

Eines ist sicher, sie wird alles geben. So wie sie es schon immer getan hat. Mit ihrem übervollen Terminkalender in den Wochen vor dem Sängerwettbewerb kommt sie gut klar. Es ist nichts Neues für sie. „Ich habe schon immer Ziele gehabt, aber heute mache ich mir keinen Stress mehr damit, weil man dann nicht im Moment lebt“, ist ihre fast schon altkluge Meinung dazu.
Schon als Schülerin war Ann Sophies Tag durchgetaktet: „Ich kam nach Hause, habe mich umgezogen und bin dann zu meinem Pferd gefahren. Danach ging’s zum Balletttraining, abends habe ich dann Hausaufgaben gemacht.“ Freizeit hieß für sie Hockey oder Tennis spielen: „Mir waren meine Sachen immer wichtig, auch wenn es anstrengend war, ich war ständig unterwegs“, sagt sie im Rückblick. „Das regelmäßige Kofferpacken ist für mich deshalb nichts Neues, das kenne ich eben von früher.“

Geprägt haben sie die Frauen mit viel Soul in der Stimme: „Ich hatte einen Fankalender von Britney Spears, mit dem habe ich die Wände in meinem Zimmer tapeziert“, gibt sie zu. Natürlich sang sie die Songs nach, ihre Eltern und der Bruder mussten regelmäßig auf dem Wohnzimmersofa Platz nehmen und als Publikum herhalten. Christina Aguilera löste Britney irgendwann in der Beliebtheitsskala ab. Natürlich musste auch die Optik angepasst werden: „Mit 14 habe ich mir das erste Mal blonde Strähnen färben lassen – da danke ich meinen Eltern für ihre Gelassenheit“, lacht sie. Die modischen Ausrutscher sind ihr aber trotzdem nicht peinlich: „Ich finde es gut, wenn man sich ausprobiert“, sagt Ann Sophie selbstbewusst. Blond kommt für sie schon lange nicht mehr infrage, jetzt wird sie mit der Soul-Ikone Amy Winehouse verglichen: „Das ist für mich ein großes Kompliment, ich habe aber eine ganz andere Stimme.“ Sie findet es interessant, wie sie wahrgenommen wird, „aber ich arbeite daran, dass ich für meine eigene Musik stehe.“ Die Frauen der R&B haben es ihr angetan. Dazu zählt vor allem auch Beyoncé Knowles, Gattin des Hip-Hop Moguls Jay Z: „Die ist sich immer treu geblieben. Das ist eine richtige Frau: Singen ist für sie wie Atmen.“

Wenn sie auf der Bühne steht und die Scheinwerfer angehen, sind das für sie die schönsten Momente überhaupt. „Mir macht das echt Spaß“, gibt die junge Sängerin freimütig zu und ihre dunklen Augen leuchten. Trotzdem leidet auch sie an Lampenfieber. „Ich mach das mit mir selbst aus“, sagt die 24-Jährige und bleibt pragmatisch: „Ich bin auch mit fünf Jahren schon allein geflogen – also, was soll’s?“

Noch wird sie auf der Straße selten erkannt. Meist läuft sie ungeschminkt herum, auch das hilft ihr, ein bisschen Privatsphäre zu behalten. Und sie ist dann noch ganz unbedarft erfreut, wenn jemand ein Autogramm oder ein Selfie von ihr möchte: „Vor Kurzem habe ich auf einer Hochzeit gesungen, da musste ich 50 Selfies mit den Gästen machen, das war sehr nett.“

Fast kann sie es selbst noch nicht fassen, wie viel Popularität sie auf einmal hat: ESC-Fans gibt es auf der ganze Welt. Zum 60-Jährigen ist erstmals Australien mit dabei. Ann Sophies Facebookseite wird auch von Fans aus Brasilien oft besucht, sogar in China kennt man ihren Song „Black Smoke“ mit dem sie beim Wettbewerb in Wien an den Start geht.

Neben dem Sieg beim ESC, den sie gern für Deutschland nach Hause bringen würde, hat sie einen ganz großen Traum, oder eher ein Ziel, das sie garantiert irgendwann erreichen wird: „In einer großen Halle „A Case Of You“ von Joni Mitchell mit einem großen Streichorchester performen – das ist so ein unfassbar guter Song.“