Hamburg. Jan Bosses Inszenierung „Imperium“ über Glückssucher in der Südsee enttäuscht. Nur die Schauspieler überzeugen.

„Ritter der Kokosnuss“ kennen wir von Monthy Python, als parodistische Verfilmung der Artussage. Aber lange vor Monty Python gab es den Nürnberger August Engelhardt, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einer kleinen Erbschaft in die Südsee einschiffte, um in Papua-Neuguinea, das damals auf den Kolonialnamen Deutsch-Neuguinea hörte, ein Fleckchen Land zu kaufen. Dort wollte er ungestört der Kokosnuss, dem Freikörperkult und der Sonne huldigen.

Klingt fast auch nach einer Parodie auf einen Sektenführer, dieser skurrile Ritter der Kokosnuss. Christian Kracht hat über Engelhardt einen Roman geschrieben, der 2012 erschien, „Imperium“. Im Thalia in der Gaußstraße hat Regisseur Jan Bosse diesen Stoff nun auf die Bühne gebracht. Er lässt mit einem glänzend aufgelegten Ensemble mal die Geschichte vom Nudisten und Kokovoren, der 1902 auf der Insel Kabakon seinen Sonnenorden ausrief, von wechselnden Schauspielern erzählen, mal lässt er die Spieler die Figuren verkörpern. Eine Mischung, die nicht immer aufgeht. Denn was Freaks und Religionsfanatiker so alles können und anrichten, das hätte man viel lieber nur im Spiel gesehen, als in der gelegentlich etwas gestelzten Nacherzählung des Romans. Das Theater kann doch mehr.

Schon zu Beginn, als Daniel Lommatzsch im Foyer Engelhardts Thesen von der Befreiung aller Sorgen durch eine strenge Kokosnussdiät lautstark vorträgt und man, noch in Jacke, diesem Irrsinn lauschen muss, fragt man sich, was das soll, theatralisch soll. „Alle Fragen finden ihre Lösung in der Kokospalme“, hat Engelhardt eben noch erklärt. Diese aber wohl nicht.

Dann geht’s hinein ins Theater, wo auf der Bühne (Stéphane Laimé) ein Sandhaufen aufgebaut ist, an der Seite ein Berg Plastikmüll liegt, auf der anderen Seite eine Orgel hinter zahllosen Kokosnüssen steht, vor der Christoph Bantzer sitzt und aussieht wie Gottvater persönlich, aus einem Buch vorliest, als wahrer Märchenonkel.

Als „August Engelhardt und die Kokovoren“ treten Marie Löcker, Daniel Lommatzsch, Jörg Pohl, Steffen Siegmund und Sebastian Zimmler auf. Einmal tanzen sie auch wie beim Rave zur Full-Moon-Party am Strand einer tropischen Insel, ganz wild gewordene, glücklich entfesselte Aussteiger, Weltenbummler, Hippies und Rucksacktouristen. Kokosmilch scheint mehr zu sein als ein Energydrink. Jonas Landerschier entwickelt die entsprechende Stimmung auf seiner Orgel. Aber Vorsicht, man gerät erst langsam und auch nur kurz in dieses „happy feeling“. Zuvor erzählen die wie für eine Kreuzfahrt gekleideten Schauspieler von Engelhardts Reise ins damalige Neupommern, vom Kauf Kabakons für 40.000 Mark und der Ankunft des Klavierspielers Max Lützow, der ebenfalls als Nudist leben und sich von Nüssen ernähren möchte. Gespielt wird nur wenig, etwa, wenn Engelhardt, dessen weiße Haut von der Sonne verbrannt ist, nun noch von Insekten zerstochen wird. Das Leben auf einer tropischen Insel hat mehr unangenehme Seiten als Verblendung, Fanatismus und Einsamkeit mit sich bringen.

Zu den angenehmeren Seiten zählt, dass sich der Eingeborene Makeli zu Engelhardt gesellt, der ihm gleich von Hölderlin und Nietzsche erzählt. Steffen Siegmund, der sich bald auch ausziehen muss, spielt ihn herrlich munter und naiv. Und auch gelehrig. Wenn er immer wieder zustimmend nickt und dabei an seinem Pimmel zieht, während die zugereisten Europäer ihm die Welt erklären, lässt er sich ständig auf die Finger klopfen. Nacktsein geht nach Engelhardt nur mit Anstand.

Jörg Pohl, Sebastian Zimmler und Daniel Lommatzsch haben alle drei sehr durchtrainierte Körper, so wirken die karg ernährten Inselbewohner doppelt glaubwürdig. Sie wälzen sich kaum bekleidet im Sand, bemalen sich mit Farbe. Deutsche kommen nach Kabakon in der Hoffnung, hier den Garten Eden zu sehen. Aber unter Engelhardt und seinen Jüngern wächst die Aggression, Krankheiten brechen aus. Man hackt sich Finger ab, isst Nägel, Haare, Schorf. So ein Inselleben bietet eben wenig Abwechslung.

Gurus, religiöser Wahn und Aussteiger hätten herrliche Bilder geben können

Der wahre Engelhardt ist verhungert. Bei Kracht und im Theater taucht er nach 50 Jahren auf einer abgelegenen Insel wieder auf, wo ihn nach dem Zweiten Weltkrieg amerikanische Soldaten völlig verwirrt und zum Skelett abgemagert, entdecken. Sein Leben soll in Hollywood verfilmt werden.

Wären die Schauspieler nicht so wandlungsfähig und ausgelassen, der Abend, der an ein Sandkastenspiel erinnert, wäre verzichtbar. Gurus und religiöser Wahn, Aussteiger und Veganer – was für herrliche Bilder könnten sie heute bei uns auslösen. Schrill oder schrecklich, besserwisserisch, böse, hip und hitzig – Jan Bosse nutzt das alles nicht. Er erzählt mit seinem Ensemble Krachts Roman auf der Bühne nach.

Eine Strandgesellschaft verändert sich zu Wilden, spielt die Nackten und die Toten. Fast so wie in Alex Garlands Roman „Der Strand“. Auch da haben wir erkannt: Wer das Paradies sucht, wird es verlieren. Manchmal kann das Paradies auch im Theater liegen. Hier allerdings wohl eher nicht.

Nächste Termine: 7., 13., 14. und 16.5.